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Landeshauptstadt: Wenn einen der Egel packt

In Paaren unterhält Detlef Menzel die einzigste Blutegel-Farm in den neuen Bundesländern

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In Paaren unterhält Detlef Menzel die einzigste Blutegel-Farm in den neuen Bundesländern Bei vielen haben sie ein schlechtes Image als Blutsauger, die dem Menschen nichts Gutes wollen: Egel. Kaum sitzen sie auf dem Körper, beißen sich die kleinen Biester durch die Haut, saugen das Blut heraus und schwächen so den Menschen. „Wer so über Egel denkt, tut ihnen gewaltig unrecht“, sagt Detlef Menzel. „Denn in Wirklichkeit sind die Tiere wandelnde Apotheken.“ Menzel gehört in Potsdam-Paaren die einzige Blutegel-Farm in den neuen Bundesländern. Deutschlandweit gibt es nur noch eine zweite in Hessen. Menzels Haus liegt am Ortsrand. Im Garten wachsen die Büsche meterhoch und mittendrin plätschert das Wasser in einen Teich. Nur wenige Schritte weiter lebt Menzels eigentliche Leidenschaft: Mehrere tausend dunkelgrün-rot-gestreifte Egel schlängeln sich in drei weiteren Teichen durch das Wasser und leben auf dem morastigen Grund. „Der Speichel von Egeln ist ein hervorragendes Mittel zur Gesundheitsprophylaxe“, berichtet der 49-jährige Menzel. Denn damit die Tiere besser Blut aus dem Menschen saugen können, spritzen sie ein Sekret in die Bisswunde, das die Gefäße weitet – und die Egel schneller an das begehrte Blut kommen lässt. Außerdem wirkt der heparinhaltige Speichel gerinnungs- und entzündungshemmend, weswegen die Egel in den verschiedensten Bereichen der Medizin eingesetzt werden. Sie beheben Gefäßverengungen, vermeiden Herzinfarkte, beseitigen schwere Blutergüsse, helfen bei Rheuma und treiben Heilungsprozesse voran. Eigentlich war Menzel gelernter Diplomingenieur und stellte bis 1998 Verpackungen her. Dann wurde er krank, verkaufte seine Anteile an der Firma und reiste mit seiner Frau durch die Welt. In Thailand packte ihn dann das Egel-Fieber. Menzel sah im Fernsehen zufällig eine Dokumentation über die Tiere und begann, sich über sie zu informieren. Egel würden oft zu Unrecht verabscheut, findet Menzel. „Mit Beginn der modernen medizinischen Forschungen hielt man plötzlich alles, was nicht künstlich hergestellt wurde, für unsauber.“ Diese Zeiten sind jetzt scheinbar vorbei. Inzwischen kommt es vor, dass ihn am Abend eine Notfallstation anruft und dringend Egel braucht – beispielsweise, weil sich ein junger Mann mit einer Kreissäge die linke Hand komplett abgetrennt hat. Die Ärzte können die Hand dann zwar wieder annähen, die oberflächlichen Venen aber nicht. „Das kann gefährlich werden, wenn sich das Blut unter Haut staut und die Narbe sich entzündet“, sagt Menzel. In diesem Fall saugen seine Egel das überflüssige Blut weg und gewährleisten die erfolgreiche Heilung. Sein Wissen hat sich Menzel in den vergangenen Jahren angelesen. Nach dem Thailand-Urlaub kaufte er in Antiquariaten Fachliteratur und bestellte sich seine ersten 1500 „hirudo medicinalis“, wie die Tiere auf Lateinisch heißen. „Im ersten Jahr habe ich bei der Egel-Haltung noch Fehler gemacht“, sagt Menzel. Jetzt sind der Wasserpegel in den Teichen und die Schilf-Bepflanzung am Ufer genau ausgetüftelt. Rund 25000 Egel züchtet Menzel hier pro Jahr. Mehr als 200 Kunden, meist Kliniken und Heilpraktiker, hat er bereits. „Der Bedarf ist aber viel größer“, sagt Menzel. Zurzeit werden demnach noch viele Tiere aus dem Ausland importiert. Deswegen baut sich Menzel gerade ein Labor in Potsdam-Hermannswerder auf, wo er pro Jahr 300000 Egel züchten will. Diese Tiere kämen dann aus einer keimfreien Umgebung, was für die Anerkennung der Behandlung durch die Krankenkassen wichtig wäre. „Dann könnten die Egel regelmäßiger eingesetzt werden“, hofft Menzel. „Und vielleicht würden dann mehr Menschen verstehen, was für wundervolle Tiere die Egel sind.“Aliki Nassoufis/dpa

Aliki Nassoufis, dpa

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