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Landeshauptstadt: „Wenn ich zu trinken aufhöre, sehe ich meine Kumpels gar nicht mehr!“

AUS DEM GERICHTSSAAL Von Gabriele Hohenstein Sitzt Wolfgang H. (52) alleine in seiner Wohnung, fällt ihm die Decke auf den Kopf.

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AUS DEM GERICHTSSAAL Von Gabriele Hohenstein Sitzt Wolfgang H. (52) alleine in seiner Wohnung, fällt ihm die Decke auf den Kopf. Dann trinkt er Bier und Kümmerling, bis er nicht mehr weiß, was er tut. Dabei ist der Alkoholiker heilfroh über die eigenen vier Wände, schließlich hat er das Leben auf der Straße noch in unguter Erinnerung. Nun plagt ihn die Angst, er könne die kleine Bleibe in der Innenstadt verlieren. Das Amtsgericht verurteilte Wolfgang H. im August dieses Jahres wegen Missbrauchs von Notrufen in 23 Fällen zu neun Monaten Freiheitsstrafe. Dagegen ging er in Berufung. „Ich bestreite ja gar nichts. Das Einzige, was ich möchte, ist Bewährung“, erklärt der Ex-Kraftfahrer vor dem Landgericht. Der Staatsanwalt hält dem u. a. wegen Gefährdung des Straßenverkehrs, Nötigung, Unfallflucht, Fahrens ohne Erlaubnis, Beleidigung sowie versuchter Erpressung Vorbestraften entgegen, bereits bis 2005 unter Bewährung zu stehen. Dies habe ihn allerdings nicht daran gehindert, am Tattag den Polizeinotruf zu blockieren, was eine Straftat darstelle. „Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?“, fragt die Vorsitzende der 6. Strafkammer, Richterin Eibisch. Der Arbeitslosenhilfe-Empfänger gesteht unumwunden: „Ich war besoffen.“ Schon morgens habe er zu trinken begonnen, um die einsamen Stunden totzuschlagen. Gegen 20.30 Uhr sei er dann völlig hinüber gewesen. Da er sich schlecht fühlte, habe er einen Arzt anrufen wollen, stattdessen pausenlos die in seinem Handy gespeicherte 110 gewählt. Die Richterin verliest den Bericht der Polizeibeamten, die Wolfgang H. an dem bewussten Abend einen Besuch abstatteten. Aus ihm geht hervor, dass sich der stark angetrunkene Mann, der offenbar ein seelisches Problem hatte, kooperativ zeigte und seine zwei Mobiltelefone freiwillig herausgab. „Warum machen Sie denn keine Therapie, um vom Alkohol loszukommen?“, wundert sich die Vorsitzende. Die Antwort des Angeklagten klingt aus seiner Sicht logisch: „Weil ich dann überhaupt keinen Kontakt mehr zu meinen Kumpels habe.“ Wegen der Berufungsverhandlung habe er allerdings seit gestern keinen Tropfen angerührt. Wolfgang H. kann das Zittern seiner Hände kaum noch unterdrücken. Er beginnt zu weinen. Die Kammer hat den Eindruck, der Potsdamer kann dem Prozess nicht mehr folgen. „Es wird einen neuen Termin geben“, so Richterin Eibisch. „Zu dem stellen wir Ihnen einen Pflichtverteidiger zur Verfügung. Bemühen Sie sich bis dahin um eine Entziehung. Das wirkt sich positiv bei Gericht aus.“

Gabriele Hohenstein

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