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Landeshauptstadt: Wenn Mauern sprechen

Ein geführter Streifzug durch die Villenkolonie Neubabelsberg offenbart auch düstere Impressionen eines schönen Viertels

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Ein geführter Streifzug durch die Villenkolonie Neubabelsberg offenbart auch düstere Impressionen eines schönen Viertels Von Matthias Oden Die beiden Ginkgobäume sind so unscheinbar, dass man sie nur wahrnimmt, wenn man auf sie hingewiesen wird. Noch keine anderthalb Meter hoch und an einen Stützpfosten gebunden heben sie sich von anderen Grün des weitläufigen Gartens, in dem sie stehen, kaum ab. Doch die Last, die ihre fast noch zarten Stämme tragen müssen, steht im krassen Gegensatz zu ihrem unauffälligen Äußeren – die Bäume erinnern an Hunderttausende von Toten, an die, die den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki zum Opfer fielen. Gepflanzt wurden sie Ende der 90-er Jahre von einer japanischen Delegation auf dem Grundstück der so genannten „Truman-Villa“ in Babelsberg. In ihr bezog der damalige US-Präsident Harry S. Truman Quartier, als die Potsdamer Konferenz, auf der die Zukunft Nachkriegsdeutschland besprochen und der aufkommende Kalte Krieg bereits spürbar wurde, seine Anwesenheit in der Stadt nötig machte. Und in ihr bestätigte er die Atombombenabwürfe, an deren Folgen noch heute jährlich über 2000 Menschen sterben. Es sind Geschichten wie die von Truman und den Ginkgobäumen, die den Spaziergang durch die Ende des 19. Jahrhunderts gegründete Villenkolonie Neubabelsberg interessant machen. Hier sind die Wände Zeitzeugen und es ist Bernd Gladitz, der ihnen seine Stimme leiht. Der 63-jährige Rentner engagiert sich ehrenamtlich für die Akademie „2. Lebenshälfte“ und führt Interessierte regelmäßig durch historische Viertel Potsdams. Der Boden, über den Gladitz seine gut zwanzig Köpfe zählende Gruppe an einem Dienstagvormittag führt, ist auf Schritt und Tritt mit Historischem getränkt. Und allzu oft auch mit Blut. Denn es sind meist jene Episoden, die zu den dunklen der Geschichten zählen. Immer wieder tauchen zwischen all den stattlichen und prächtigen Gebäuden die hässlichen Spuren von Krieg und Verfolgung auf – nicht sichtbar, aber auch nicht zu ignorieren. Die bereits widerlegte Anekdote vom Hauslehrer Joseph Goebbels, der sich zu aufmerksam um die Hausherrin der Villa Quandt gekümmert haben soll, die später tatsächlich als geschiedene Quandt von Magda Ritschel zu Magda Goebbels wurde, ist zwar eine der amüsanteren Geschichten, aber auch sie ist überschattet vom Wissen um späteres Unheil. Ungefähr zwei Drittel aller Villen in Neubabelsberg gehörten jüdischen Besitzern – alle wurden sie von den Nazis in den 30er Jahren enteignet oder gezwungen, ihre Grundstücke zu Spottpreisen abzugeben. Hier im Villenviertel wurde General Kurt von Schleicher zusammen mit seiner Frau von der SS während des so genannten „Röhm-Putsches“ umgebracht, hier steht die Villa Goldschmidt, aus der das NS-Regime eine Reichsführerinnenschule machte. Und irgendwo hier im Villenviertel erschoss sich Ernst Grawitz, der als SS-Reichsarzt die Aufsicht über die Humanexperimente in den Konzentrationslagern hatte, um sich der Gerichtsbarkeit zu entziehen. Dunkle Regenwolken sind inzwischen aufgezogen und Bernd Gladitz kommt mit seiner Gruppe an ein Grundstück, dessen Geschichte ebenfalls an eine Selbsttötung erinnert, an eine ungleich tragischeren allerdings: Das gusseiserne Tor, in dem geschwungen ein H und G eingelassen sind, versperrt den Zugang zum vom Unkraut überwucherten Grundstück der ehemaligen Villa von Hans Gugenheim. Gugenheim war eng befreundet gewesen mit dem Schauspieler Joachim Gottschalk. Dieser entzog sich am 6. November 1941 dem immer stärker werdenden Druck, sich von seiner jüdischen Frau Meta scheiden zu lassen, gemeinsam mit ihr und ihrem achtjährigen Sohn Michael durch den Gang in den Tod. Zwanzig Minuten später scheint zwar wieder die Sonne, aber eine Gedenktafel am Wegesrand wirft erneut düstere Schatten der Vergangenheit in die Gegenwart. Oberhalb der ehemaligen Villa des Orientforschers Friedrich Sarre erinnert an die jüdischen Potsdamer, die hier in einer als Siechen- und Altenheim getarnten Sammelstelle zusammengetrieben worden waren und am 16. Januar 1943 deportiert wurden. Unweit davon entfernt steht die Stalin-Villa, die ebenfalls zur Potsdamer Konferenz einen der größten Massenmörder der Weltgeschichte beherbergte und nun trügerisch ruhig in der Mittagshitze liegt. Der geführte Rundgang neigt sich seinem Ende zu, man erreicht erneut die Truman-Villa und die zwei Ginkgobäume. Immer wieder sind während des gut zweistündigen Spaziergangs durch die Villenkolonie Bauwagen vorbeigefahren, an vielen Orten wird erneuert und restauriert. Überall wird die alte Villenkolonie auf Vordermann gebracht, verjüngt, verschönt. Hier und da mag so ein moderneres Vordach hinzukommen, neue Fensterrahmen eingesetzt oder ebenso neue Zäune gezogen werden. Doch die Geschichten bleiben. Mauern vergessen nicht.

Matthias Oden

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