Landeshauptstadt: Wenn“s Zoff mit den Erwachsenen gibt
Schulsozialarbeiter Guido Burck kritisiert die Streitkultur und wünscht sich mehr Zeit für die Prävention
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Die Ohrfeige hat gesessen. Was danach folgt ist Erleichterung, vielleicht zwei Minuten lang. Dann Leere und Verzweiflung. Die dauern an. Ratlos sitzt Lauras* Mutter am Küchentisch. Sie wird mit ihrer pubertären Tochter nicht mehr fertig, altkluge Ratschläge kann sie nicht mehr hören. Bei einem heftigen Streit über Lauras Lernverhalten ist es dann passiert, die Ohrfeige.
Die Tochter reagiert nicht so still wie ihre Mutter. Auf dem Schulhof hat sie dramatisch ihr häusliches Schicksal ausgebreitet, in ihrer Wut findet sie Bewunderung unter Gleichaltrigen. Aber verzweifelt sind sie beide – nur, Laura ist klüger als ihre Mutter. Sie weiß, wo sie Hilfe bekommt. Beim Sozialarbeiter in ihrer Schule. Und der wünscht sich, dass auch Eltern den Schritt wagen mit ihm zu reden. Seine Erfahrung: Meist sind familiäre Konflikte Ursache von Fehlverhalten in der Schule.
In Potsdam gibt es an acht Schulen Sozialarbeiter, unter dem Dach des Vereins Paragraph 13 e.V., bezahlt mit Fördermitteln. Es ist ein Spezialdienst, der den Schülern angeboten wird, angebunden an das Jugendamt, aber freiwillig. Die Schulsozialarbeiter werden nicht nach Tarifen des öffentlichen Dienstes bezahlt. Eine Klausel ihres Arbeitsvertrages besagt, dass ihre Stelle wegfällt, wenn die Fördermittel nicht mehr fließen. „Sozialarbeit hat keine Lobby in dieser Gesellschaft“, sagt Guido Burck, der in der Goethe-Gesamtschule Babelsberg 35 Stunden pro Woche beschäftigt ist. Der politische Wille sei zwar da, aber die Praxis sehe anders aus.
Über 800 Kinder besuchen die Schule 21/31 in der Kopernikusstraße, in der Burck vor zwei Jahren sein Zimmer eingerichtet hat. In diesem Schuljahr klopfte es bereits mehr als 30 Mal an seine Tür. Mal laut, mal energisch oder auch schüchtern. Aber immer mit der Hoffnung: Hier werde ich ernst genommen, kann ich mit Verschwiegenheit rechnen, hier wird mir geholfen. Mit einer Sitzung ist es da nicht getan, fünf bis sechs Beratungen, meist 45 Minuten lang, sind notwendig. Klar gibt es immer mal wieder ein paar Wichtigtuer. Der 42-jährige Burck, der locker wirkt mit seinem kurzen zeitlosen Haarschnitt und dem etwas zu großen Wollpullover, hat auch schon mal einen rausgeschmissen. „Aber die meisten Situationen sind sehr ernst zu nehmen“, sagt er. Auch wenn er sich noch so bemüht, bei dieser Aussage seine Mine nicht zu verändern: Das lässt Guido Burck nicht kalt. Es ist eine große Kunst, das Mitgefühl zu bewahren und nicht zu verhärten. Aber auch das Abschalten nach der Arbeit will gelernt sein.
Obwohl Armut wegen Arbeitslosigkeit sich durchaus im sozialen Fehlverhalten wiederspiegeln kann, ist das für Burck nicht das Hauptproblem der heutigen Zeit. Auch nicht die ewig in den Medien wiederkehrende Aussage über die Zukunftslosigkeit der Jugend. Das Alleingelassenwerden sei der wunde Punkt, die Sprachlosigkeit der Eltern. Vor allem bei Trennungsgeschichten. „Ich hole die Jugendlichen da ab, wo sie sind, in ihrem Elend, in ihrer Verwirrtheit“, beschreibt er seine verantwortungsvolle Arbeit. Der erfahrene Sozialarbeiter kann schnell Anlass und Ursache auseinanderhalten, wenn es Zoff gibt mit den Erwachsenen.
Bei der Frage nach der Schuld eines Fehlverhaltens sollten Eltern bei sich anfangen. „Die Streitkultur in unserer Gesellschaft ist unmöglich geworden“, kritisiert Burck. Der Kontakt mit der Jugend finde nicht mehr statt und so wundert es nicht, dass psychologische Probleme wie Lernbehinderungen und Essstörungen zunehmen. So viel Pessimismus? „Ja“, sagt Burck bestimmt, „Verharmlosen hilft keinem.“ Das treffe besonders auf die zunehmende Gewaltbereitschaft zu. Der kräftige, sportliche Mann ist besorgt über die zunehmende Verrohung.
Sozialarbeit in der Schule beginnt zum Glück aber nicht immer erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Guido Burck nimmt sich die Zeit für präventive „Entwicklungshilfe“, zum Beispiel beim Trommelkurs mit 2. und 3. Klassen. Er will im kommenden Schuljahr auch mehr Gespräche mit Kindern aus der Sekundarstufe führen, um Ursachen für zunehmende Schulmüdigkeit klar zu erkennen.
Der Erziehungsauftrag – im Paragraph 13 des Kinder- und Jugendschutzgesetzes verankert – lautet: Junge Menschen frühzeitig fördern, unterstützen und sozial stabilisieren. Burck hätte gern mehr Arbeitszeit dafür. Und sein Chef Lutz Stahlberg vom Paragraph 13 e.V. mehr Leute. Gerade Schüler der unteren Klassen seien gesprächsoffen. Zu spät sei es aber nie.
Lauras Mutter hatte nach langem Zögern den Weg zu Guido Burck gefunden. Das Verhältnis zu ihrer Tochter ist noch nicht konfliktfrei. Aber die Hand ist ihr nie wieder „ausgerutscht“, die Streitgespräche sind sachlicher geworden. Manchmal vertragen sich die beiden jetzt schon nach zwei Minuten.
*) Der Name ist geändert
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