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Landeshauptstadt: Wer unterbricht, ist tot

Über nervige Kettenbriefe, die Liebe, Glaube, Kuchen, Pech und andere Dinge vervielfachen sollen

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Von längst vergessenen Menschen wird man plötzlich angeschrieben. Die EMail-Adresse steckte vermutlich noch immer praktisch abrufbar in irgendeinem Adressverzeichnis. Der Absender scheint in der Klemme. Er muss der Aufforderung seiner Vorgänger folgen und seinerseits zehn Leuten die wie immer geartete Botschaft weiterleiten. Nur dann, so heißt es demagogisch im Text, werde sich die Prophezeiung erfüllen. „Bitte schicke es weiter und unterbrich es AUSNAHMSWEISE nicht!“ Offenbar ahnt der Absender, dass der Angemailte eher zu den Abtrünnigen gehört. Solche und ähnliche Kettenbriefe sind eine Plage.

Es gab welche, die versprachen, dass sich der fleißige Verschicker durch das Verzehnfachen seines Einsatzes bereichern könne. Zehn mal zehn mal zehn mal zehn Euro ergeben am Ende zigtausende, wenn sich alle an die Regeln halten. Vermutlich ist keiner reich geworden. Auch religiöse Eiferer nutzten das weltweite Netz, um ihre Nachrichten vom teuflischen Heilsbringer zu verbreiten; drohten mit dem plötzlichen Unfalltod, der jene ereilen sollte, die die Kette unterbrachen. Unter mildernden Umständen wurde der Kettenbriefverweigerer lediglich mit sieben Jahren Pech bestraft. Dann gab es noch „Hermann“ – ein Kuchenteig, der in zehn Teile geteilt und an Backfreudige weitergereicht wurde. Das Zehntel musste im Kühlschrank lagern und gefüttert werden, bis es zu einem stattlichen Volumen angewachsen war, das man wieder teilen konnte. Eine Portion wurde verbacken, der Rest verschenkt. Hermann, der Kettenkuchen.

Das derzeit in Umlauf befindliche Machwerk zielt auf das Vervielfältigen von Zuneigung ab. Was man sonst im Leben nicht schafft, nämlich einem anderen zu sagen, dass er wichtig und etwas Besonderes ist, soll nun in elektronischer Vervielfältigung passieren. Zehn auf einen Schlag erfahren, wie lieb man sie doch hat. Schon wieder muss man teilen.

Wer brav diese Botschaft an zehn ihm wie auch immer nahestehenden Menschen verschickt, wird belohnt. Zuvor soll sich der Empfänger einige Minuten Zeit nehmen und ganz in Ruhe lesen – und sich am Ende ärgern. Die Geschichte erinnert an eine drittklassige Highschool- Story. Eine Lehrerin fordert ihre Schüler auf, für jeden der Mitschüler eine positive Eigenschaft zu notieren. In Heimarbeit erstellt Frau Lehrerin dann daraus für jeden Pennäler eine Liste, auf dem er seine guten Charakterzüge nachlesen kann. Als einer der Schüler Jahre später stirbt, treffen sich alle auf seiner Beerdigung wieder und stellen fest, dass sie ihre vergilbten Listen bei sich haben. Die Moral von der Geschicht: Sag, was du an dem anderen magst, bevor es zu spät ist.

Wer also bis zum Ende gelesen hat, bekommt so gleich die Chance, seine Sympathien an zehn Auserwählte zu verschicken. Auch die Erfahrung aber hat wahrscheinlich schon jeder gemacht: Je länger ein solcher Kettenbrief im Freundes- und Bekanntenkreis kursiert, um so schwieriger wird es für den Empfänger, wirklich neue Adressaten zu finden. Das aber ist Sinn des Systems. Wem das gelingt, der wird belohnt. „Du wirst sehen, was geschieht, ist lustig.“ Und bleibt denen verschlossen, die die Kette unterbrechen.

Wer will, dem schickt die potsdambinich-Redaktion die Ketten-Mail zu – schreibt einfach. So kriegen wir dann doch zehn Adressaten zusammen und verraten gerne, was Lustiges passiert. NIK

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