Links und rechts der Langen Brücke: Wider die Gewalt
Michael Erbach begrüßt die Reaktionen auf die Missbrauchsfälle an der Potsdamer Sportschule und wünscht sich Nachhaltigkeit auf allen Ebenen
Stand:
Andere fertig machen, ob verbal oder mit körperlicher Gewalt, ob durch Mobbing oder Bullying – gezieltes, systematisches und wiederholtes Schikanieren von Schwächeren: Die Bandbreite dieses gesellschaftlichen Phänomens ist groß. Was sich an der Eliteschule des Sports „Friedrich Ludwig Jahn“ abgespielt hat und nun publik wurde, ist mit Sicherheit auch nur die Spitze des Eisberges. Ob in der Schule, in den Kasernen, ob in Sportvereinen und Büros, ob in der Fabrikhalle oder im familiären Umfeld – niemand ist davor gefeit, selbst zum Opfer zu werden. „Du Opfer!“ ist ein gängiger Spruch unter Jugendlichen. Das angebliche Recht des Stärkeren zieht sich durch die Geschichte des Menschen, Machtausübung und Unterdrückung gehören ebenso dazu. Wer sich nicht einfügt, wer anders ist, wer sich angreifbar macht, wer dem Leistungsdruck nicht standhalten kann, einen falschen Satz sagt oder auch nur zur falschen Zeit am falschen Ort ist – der ist dran. Bislang ist nicht bekannt, warum es zu den mutmaßlichen Übergriffen an der Elite-Sportschule gekommen ist, was die beiden Opfer „falsch“ gemacht haben. Die staatsanwaltlichen Ermittlungen werden hoffentlich Licht in das Dunkel bringen und auch die Frage klären, ob es zu systematischen Übergriffen gekommen ist, ein System dahintersteckt. Doch das ist nur eine Seite, die juristische. Mehr noch geht es um den Umgang der Gesellschaft mit Gewalt – im Sinne der Opfer. Und da ist in dieser Woche, nach dem – viel zu späten – Bekanntwerden der Missbrauchsfälle, Bemerkenswertes in Potsdam geschehen. Dass die mutmaßlichen Täter, zwei 16-jährige Sportschüler, die die 13- bzw. 14-jährigen Mitschülern gequält hatten, zunächst der Schule verwiesen wurden, war wohl selbstverständlich. Und auch die vorläufige Suspendierung derjenigen erwachsenen Vertrauenspersonen, die den ihnen bekannten Vorfällen nicht nachgingen, ist folgerichtig. Aber mit welcher Breitseite sich Politik, Behörden und Verbände der Angelegenheit jetzt annehmen, mit welcher Konsequenz nicht nur Lehren aus dem aktuellen Fall gezogen wurden, sondern auch auf Nachhaltigkeit bei der Bekämpfung von Gewalt geachtet wird – das nötigt Respekt ab. So wird der Unterricht an der Schule künftig mehr auf die Wertevermittlung achten, gibt es Angebote der Jugendhilfe, wurde eine Hotline eingerichtet, soll es Patenschaften zwischen Schülern unterschiedlicher Altersstufen geben. Das alles soll dazu führen, dass es am besten gar nicht mehr zu solchen Taten kommt oder aber Opfern umfassend geholfen werden kann – einschließlich der schnellen juristischen Ahndung der Taten. Die Sportschule „Friedrich Ludwig Jahn“ wird eine andere werden – und vielleicht kann das Geschehen anderen Mut machen, sich zu wehren. Denn Gewalt – egal in welcher Form – gibt es weiter, fast überall.
Michael Erbach
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