Landeshauptstadt: Widerstand damals, Widerstehen heute
Die Menschen des 20. Juli sind Helden wie alle anderen Widerstandskämpfer
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Die Menschen des 20. Juli sind Helden wie alle anderen Widerstandskämpfer Dreihundert Jahre Preußen haben die Region und Architektur von Potsdam in ihrem heutigen Erscheinungsbild unverwechselbar und unwiderruflich geprägt. Auf Schritt und Tritt erinnert Potsdam an die Geschichte der preußischen Monarchie. Weniger bekannt war über viele Jahre die enge Verbindung unserer Landeshauptstadt zu den Ereignissen um den 20. Juli 1944. In diesen Tagen, sechzig Jahre nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler, wird überall im Land daran erinnert. Potsdam galt auf Grund seiner Bevölkerungsstruktur als besonders von einer Neigung zu Militarismus und Nationalismus geprägt. Deshalb wollten die Nazis unsere Stadt zu einer ihrer Hochburgen aufbauen. Der „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 sollte das Bündnis von Nationalsozialisten und Preußentum öffentlich demonstrieren und damit die verbleibenden Skeptiker gewinnen. Am Umsturzversuch elf Jahre später waren neben Diplomaten, Verwaltungsexperten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern auch viele ehemalige Offiziere des neunten Infanterieregiments der Potsdamer Garnison beteiligt. Zu den bekanntesten Potsdamern gehörten Henning von Tresckow und Carl-Hans Graf von Hardenberg. Das Regiment stand in dem Ruf, das preußischste aller Regimenter zu sein. Gehorsam, Disziplin und Tapferkeit waren die Tugenden, denen sich die preußischen Soldaten ganz besonders verpflichtet fühlten. Sie, die meist adeligen Offiziere und Generäle, waren es auch, die 1933 die Machergreifung Hitlers wohlwollend begrüßten. Von Tresckow und Graf von Hardenberg gingen wie die meisten ihrer Verbündeten einen steinigen Weg der Erkenntnis, der auch beinhaltete, dass sie zunächst einem menschenverachtenden Regime dienten. Die Potsdamer Garnisonkirche war in dieser dunklen Zeit für viele zweifelnde Soldaten ein Ort der Besinnung und Ruhe. Im Potsdamer Infanterieregiment 9 formierte sich, wie in vielen anderen Wehrmachtseinheiten auch, ein immer größerer Widerstand gegen Hitler. Die Verschwörer des 20. Juli wollten sich aus eigener Kraft von der Diktatur des Nationalsozialismus befreien und der Welt den Beweis für ein anderes, moralisch integeres Deutschland liefern. Die Tatsache, dass ein Großteil der Beteiligten am Umsturzversuch von 1944 als Offiziere der Wehrmacht selbst Befehle für die Tötung von Menschen erteilt hatten, sorgt bis heute für ein zwiespältiges Verhältnis im Umgang mit den damaligen Geschehnissen. Die zwei Seiten der Akteure des 20. Juli erklären auch dessen unterschiedliche Bewertung in beiden deutschen Staaten. Ich kann mich noch gut aus meiner Schulzeit erinnern, dass das gescheiterte Hitler-Attentat in der DDR nur am Rande erwähnt wurde, während sich die alte Bundesrepublik wesentlich offensiver damit auseinander setzte. In Ost und West sind somit über viele Jahre unterschiedliche Erinnerungskulturen gewachsen. Jenseits aller Bewertungen ist für mich unbestritten: Der Versuch, das Nazi-Regime zu stürzen, war sehr mutig. Für ihre Entschlossenheit und ihre Zivilcourage verdienen die Beteiligten des 20. Juli genauso wie auch alle anderen Menschen, die sich ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben gegen die Diktatur auflehnten, unseren tiefen Respekt und Anerkennung. Widerstand begann auch schon bei denen, die es verstanden, sich der Massenpsychose durch Parteipropaganda am Arbeitsplatz und im Privatleben zu entziehen. Für mich sind die Menschen des 20. Juli Helden wie alle anderen mutigen Widerstandskämpfer. Unsere Kinder und Enkel sollen wissen, dass es viele beherzte Deutsche gab, die bereit waren, ihr Leben für die Beendigung der Nazi-Diktatur zu opfern. Veranstaltungen wie die Potsdamer Gedenkwoche „Aufstand des Gewissens“ oder auch der kürzlich durchgeführte Schülerwettbewerb der brandenburgischen Landeszentrale für Politische Bildung leisten für die Auseinandersetzung mit der Geschichte und die Vermittlung von Werten im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 einen wichtigen Beitrag. Den heutigen Generationen werden Entscheidungen, wie sie die Männer des 20. Juli treffen müssten, nicht abverlangt. Widerstand hat für uns in Freiheit Lebenden einen anderen Inhalt. Widerstehen heute heißt für mich auch, Zivilcourage zu zeigen, standhaft nach den Prinzipien der Demokratie zu leben und nicht den allgegenwärtigen „schnellen Wahrheiten“ zu glauben. Es liegt in unserer Verantwortung, dass wir das Gedenken an den Widerstand wach halten. Die unerschrockene Entschlossenheit dieser Menschen gegen eine übermächtige Gewaltherrschaft mahnt und verpflichtet uns zum ständigen Einsatz für Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschenwürde. Matthias Platzeck ist Ministerpräsident des Landes Brandenburg und Vorsitzender der Brandenburger SPD
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