Landeshauptstadt: Widerständler von Sell starb vor 68 Jahren Eine neue Biografie erinnert an seinen Mut
Er leitete die Privatschatulle Seiner Majestät. Als Vermögensverwalter sorgte er dafür, dass der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II.
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Er leitete die Privatschatulle Seiner Majestät. Als Vermögensverwalter sorgte er dafür, dass der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. in seinem niederländischen Exil geordnete Finanzen hatte. Bis zum Tod seines Dienstherrn 1941 beriet Ulrich Freiherr von Sell den 1918 abgedankten Kaiser – nicht nur in Finanzfragen. Auch als Ratgeber in politischen Dingen genoss Sell das Vertrauen Wilhelm II.
Heute vor 68 Jahren, am 12. November 1945, starb der 1884 in Potsdam geborene Sell im sowjetischen Internierungslager Jamlitz bei Lieberose. Ein halbes Jahr vor seinem Tod, am 7. Mai 1945, hatten ihn die Sowjets unter einem Vorwand aus seinem Wohnhaus im Berliner Stadtteil Dahlem gelockt und verschleppt. In der Folgezeit erfährt die Familie nicht, wohin man Sell gebracht hat. Nicht einmal, ob er noch lebt, wissen die Angehörigen. Das letzte Lebenszeichen ist eine handschriftliche Nachricht, die Sell am 31. Mai 1945 in Werder (Havel) auf die Rückseite eines Bankformulars schreibt. Man verhöre ihn fortwährend, glaube ihm aber nichts, notiert Sell. Die Nachricht erreicht die Familie erst im Juli 1945. Ein Unbekannter hatte den Kassiber in den Hausbriefkasten geworfen. In die Fänge der Sowjets geriet Sell offenbar wegen seiner Tätigkeit in der Auslandsbrief-Prüfstelle. Seit 1939 arbeitete er dort, doch bereits 1942 wurde er seines Amtes enthoben. Anscheinend warf die NS–Behörden ihm vor, „jüdisch versippte“ Menschen beschäftigt zu haben. Dies ergaben die Forschungen von Per Hüsges, einem Oberstudienrat aus Wesel, der in diesem Jahr eine kleine Biografie über Sell geschrieben hat. Fest steht, dass Sell mehrfach seinen Einfluss genutzt und von nationalsozialistischer Verfolgung Bedrohte dadurch zu schützen versucht hatte, indem er sie für unabkömmlich erklärte. In welch starker Opposition zur Nazi-Diktatur der Freiherr tatsächlich stand, blieb lange unentdeckt. Sell wirkte im militärischen Widerstand mit. Er hatte engen Kontakt zu den Widerstandskreisen in der Abwehr, insbesondere zu Admiral Wilhelm Canaris, Oberst Hans Oster und zum Adjutanten Stauffenbergs, Werner von Haeften. Nach den Plänen der Verschwörer des 20. Juli 1944 sollte Sell als Verbindungsoffizier der Widerständler im Wehrkreis Kassel fungieren. Drei Tage nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler wurde Sell von der Gestapo verhaftet. Nach vielen Monaten in Einzelhaft entließ man ihn schließlich am 30. März 1945 aus einem Berliner Gefängnis. Dies wohl ganz ohne Begründung. Vermutlich war das immer weitere Heranrücken der Roten Armee der eigentliche Grund, weshalb Sell entlassen wurde. Dies jedenfalls vermutet Per Hüsges, der für die von ihm verfasste Biografie noch einen Verlag sucht. HC
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