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Von Peer Straube: „Wie ein schönes Dorf“

Fast das ganze Leben hat Wolfgang Jacobitz am Schillerplatz gewohnt – seine Genossenschaft wird 75

Von Peer Straube

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Potsdam-West - Vier Umzüge und immer nur ein paar Häuser weiter. 72 Jahre hat Wolfgang Jacobitz in der Siedlung am Schillerplatz verbracht. Fast sein ganzes Leben. Nein, es kann keinen Zweifel daran geben, dass sich der 82-Jährige hier wohlfühlt. „Woanders wollte ich nie wohnen“, sagt er.

Es ist tatsächlich ein kleines Paradies, wo Jacobitz lebt. Zwischen Bahnhof Charlottenhof und Havel liegt es, 16 Häuser aus gelbem Glindower Backstein, 499 Wohnungen insgesamt. Geschaffen hat dieses Paradies Oberbürgermeister Friedrichs, der „General“, wie er genannt wurde, ein Nazi. Er veranlasste 1935 die Gründung des „Potsdamer Bauvereins für Kleinwohnungen e.G.m.b.H.“, heute Wohnungsbaugenossenschaft Potsdam-West. Am Montag feiert sie den 75. Jahrestag ihrer Gründung. „Friedrichsstadt“ heißt die Siedlung, der zentrale Platz trug einst den Namen Adolf Hitlers.

Als Wolfgang Jacobitz mit seinen Eltern in die damalige Hermann-Göring-Straße 10 zieht, ist er zehn Jahre alt. Zweieinhalb Zimmer, Küche mit kombiniertem Gas- und Kohleherd, ein eigenes Bad mit Badeofen. Luxus damals. „Wir haben uns gefühlt wie im siebenten Himmel“, erinnert er sich. Das Glück währt nicht allzu lange. 1944 wird der junge Mann eingezogen, gerät nach Kriegsende in sowjetische Gefangenschaft, aus der er erst nach fünf Jahren entlassen wird. Als er zu seinen Eltern zurückkehrt, ist gegenüber eine junge Frau eingezogen, Ursula. Schon im November 1950 heiraten beide. Als Nachwuchs kommt, wollen sie in eine größere Wohnung umziehen, doch die üblichen Hemmnisse sozialistischer Planungsbürokratie machen den Weg steinig. Das städtische Wohnungsamt habe „100 000 Ausreden“ gehabt, sagt Jacobitz. Ein Facharbeiter sollte die gewünschte Wohnung bekommen. Jacobitz weiß sich zu helfen. Kurzerhand lässt sich der Bankangestellte von seinem Chef Facharbeiterstatus bestätigen und marschiert ins Büro des Oberbürgermeisters. „Und plötzlich zogen dann acht oder neun Leute um und wir hatten die Wohnung“, sagt Jacobitz schmunzelnd.

Drei Jahre später, 1960, wechselt die Familie abermals. Jacobitz’ Eltern waren gestorben, die Vierraumwohnung in der Wielandstraße 6 war zu groß geworden. So richtet man sich am Schillerplatz 28 ein. Glückliche Jahre folgen. Jacobitz arbeitet jetzt beim VEB Schaltgerätewerk in Werder. Weil er sich in der Siedlung engagiert, bekommt er dafür die „Quittung“, wie er es amüsiert formuliert. Jacobitz wird in den Vorstand der Genossenschaft gewählt. Zehn, zwölf Jahre macht er den Job und kümmert sich um den geregelten Siedlungsalltag. Wenn Laub geharkt werden muss, sind viele dabei. „Wie in einem schönen Dorf“ sei das Zusammenleben gewesen, schwärmt der 82-Jährige über die vergangenen Tage.

1982 dann der letzte Umzug. Schillerplatz 25 lautet jetzt die Adresse. Etwas anderes kam nie infrage. Die neuen Quartiere Am Stern oder am Schlaatz locken trotz Fernheizung und Balkon nicht. „Wir waren eben hier heimisch“, sagt Ursula Jacobitz schlicht. Man kennt sich und hilft sich gegenseitig. „Den Nachbarn hier kann man auch mal den Wohnungsschlüssel geben und sie bitten, mal nach den Blumen zu sehen.“ Gute Nachbarschaft und Ordnung, das sind Dinge, auf die das Ehepaar heute noch viel Wert legt. „Wir sind fünf Rentner hier im Haus, jeder macht ein bisschen was, wie es die Gesundheit eben zulässt.“

Dass es mit der Ordnung und Sauberkeit am Schillerplatz nicht immer zum Besten steht, ärgert Jacobitz. Ungepflegte Grünanlagen und Hundedreck, so etwas habe es früher nicht gegeben, sagt er. Trotzdem ist das Ehepaar hier glücklich. „Wer einmal hier gewohnt hat“, sagt Ursula Jacobitz versonnen, „der ist nur sehr schwer wieder weggezogen“.

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