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Landeshauptstadt: Wie eine Gebrauchsanweisung für das Leben

Im Kringellocken Kloster treffen sich Potsdamer Buddhisten einmal wöchentlich, um zu philosophieren und den menschlichen Geist zu ergründen

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Auf dem Altar stehen eine Buddhastatue und, inmitten von Kerzen und Blütenblättern, ein Bild des Dalai Lama. Neun Sitzkissen liegen im Kreis auf dem Fußboden. Die fünf Männer und vier Frauen, die zum philosophischen Meditationsabend ins Kringellocken Kloster in der Lindenstraße gekommen sind, vebeugen sich tief in Richtung des Altars, einige legen dabei die Stirn auf den Boden. Das helfe, um ganz in diesem Raum anzukommen und sich auf die philosophische Meditation vorzubereiten, sagt Nicola Hernádi, eine der beiden Leiterinnen des Klosters. In den folgenden eineinhalb Stunden möchte sie den Anwesenden helfen, die Mechanismen des menschlichen Geistes besser zu verstehen und dadurch zu mehr innerem Frieden zu finden.

Der Dalai Lama steht für die Mahayana-Richtung des Buddhismus, also die Lieblingsrichtung der beiden Leiterinnen des Kringellocken Klosters, Nicola Hernádi und Elisabeth Steinbrückner. Im Vergleich mit anderen Richtungen sei die Mahayana-Richtung die verschulteste, erklärt Steinbrückner. An einigen tibetisch-buddhistischen Zentren in Deutschland werden mehrjährige Lehrgänge angeboten, die sich an das Studium in tibetischen Klosteruniversitäten anlehnen. Das Kringellocken Kloster, das offiziell als Verein gilt, bietet kein solches Studium an. Doch die Menschen, die dienstags zu den philosophischen Meditationsabenden in der Lindenstraße 12 kommen, gewinnen trotzdem tiefe Einblicke in die Funktionsweise ihrer Wahrnehmung. Einmal monatlich sind dafür auch tibetische Mönche oder andere buddhistische Lehrmeister zu Gast. „Wenn man einmal einem solchen Meister gegenübersitzt, fühlt man sich gleich doppelt bestärkt in seinem Weg“, sagt Steinbrückner. Von vielen, die den Buddhismus seit Jahrzehnten praktizierten, gehe eine enorme Kraft aus, die bei einer persönlichen Begegnung spürbar werde.

An diesem Dienstagabend ist kein Meister zu Gast, darum übernimmt Nicola Hernádi die Führung. Nach der Verbeugung lassen sich die Teilnehmer auf ihren Kissen nieder, Hernádi setzt sich neben den Altar. Das Licht im Raum ist gedimmt und eine Atmosphäre der entspannten Vertrautheit hat sich eingestellt. Einige der Teilnehmer kennen sich inzwischen gut und witzeln über gemeinsam Erlebtes. Aber auch Nicola Hernádi selbst sorgt dafür, dass es immer wieder etwas zu lachen gibt. „Unser Bewusstsein ist wie ein Affe, der durch die Gegend springt“, sagt sie. „Es ist normalerweise zu verblendet, um sein eigenes Tun zu erkennen.“ Dann erzählt sie, wie sie neulich davon geträumt hat, ein Stück Kuchen zu essen. Obwohl sie im Traum den Kuchen nicht tatsächlich mit der Zunge habe schmecken können, sei ihr das Erlebnis sehr real vorgekommen. Das sei ein Beweis dafür, dass neben unseren körperlichen Wahrnehmungen auch so etwas wie Sinnesgrundanlagen existieren, sagt sie. „Hmm, Kuchen hätte ich jetzt auch gerne“, sagt ein Teilnehmer und es entsteht kollektives Gelächter.

Doch nachdem so viel Entspannung eingekehrt ist, müssen sich die Teilnehmer bei Hernádis Worten nun doch zunehmend konzentrieren. „Der Buddha lehrt uns, dass das Leben Leiden bedeutet“, beginnt sie. „Aber was meint er eigentlich damit?“ Es gebe verschiedene Arten des Leidens: Neben dem groben Leid, das mit Entbehrung oder Schmerz verbunden sei, existiere auch das Leid des Wandels. Dieses sei das Leid, das uns täglich begleite, weil nichts in unserem Leben von Dauer sei. „Wir haben immer ein subtiles Gefühl der Rastlosigkeit in uns, weil sich unser Glück ab einem gewissen Punkt nicht mehr durch äußere Einflüsse steigern lässt“, erklärt die Buddhistin. Lösen lasse sich das Problem, indem wir unseren Geist schulen und uns bewusst werden, wie stark die Wirklichkeit sich von unseren Projektionen unterscheide. Das helfe uns schließlich, Hass und Gier loszulassen und ein Leben voller Frieden und Nächstenliebe zu führen. Zwischendurch schlägt Hernádi mit einem Holzklöppel gegen die Klangschale, die sie vor ihr Sitzkissen gelegt hat. Dann ist es Zeit, für einige Minuten über das Gesagte zu meditieren.

Vieles von dem, was Hernádi sagt, klingt für Außenstehende zunächst nach einem Rätsel. Bernd Löffler, der regelmäßig an den Abenden teilnimmt, versteht inzwischen allerdings schon viele der Zusammenhänge. Er nimmt auch immer wieder an Wochenend-Workshops des Vereins teil. Dort werden Prinzipien wie die „zwölf Glieder des abhängigen Entstehens“ oder die „vier edlen Wahrheiten“ gelehrt. Für den 51-jährigen Altenpfleger ist der Buddhismus eine „Gebrauchsanweisung für das Leben“, wie er selbst sagt. „Es tut gut, eine Situation genau zu analysieren, anstatt sich darüber aufzuregen.“ Besonders gefalle ihm, dass sich Buddhisten nicht auf einen übermächtigen Gott verlassen, sondern das eigenständige Denken fördern. Das habe er beim Christentum immer vermisst.

Bisher hat der Verein sieben offizielle Mitglieder. Zu den Meditationsabenden erscheinen aber auch mal bis zu 30 Teilnehmer, sagt Hernádi. „Manche kommen nur einmal, andere immer wieder.“ Eine Anmeldepflicht für die Veranstaltungen wollen sie und Elisabeth Steinbrückner bewusst nicht einführen. Selbst wenn mal niemand zu den Abenden erscheinen sollte – philosophieren und meditieren würden sie beide ja sowieso. Auch Werbung für den Verein lehnen die beiden Leiterinnen ab. „Es entspricht nicht dem buddhistischen Stil, anderen etwas aufzunötigen.“ Wer sich für Buddhismus in Potsdam interessiere, finde das Kringellocken Kloster ohnehin beim Googeln.

In den ersten Monaten nach der Vereinsgründung trafen sich die Interessierten noch bei Nicola Hernádi zu Hause, um zu meditieren. Als es dort zu eng wurde und Hernádi über einen Bekannten das Angebot für den Raum im Hinterhof der Lindenstraße 12 bekam, erklärten sich schnell auch einige regelmäßige Besucher der Abende bereit, einen Teil der Mietkosten zu übernehmen. Die Teilnahme an den Abenden ist kostenfrei, eine kleine Spende ist aber gern gesehen.

Hernádi selbst kam mit Ende 20 zum Buddhismus. Nach einer schwierigen Zeit zwischen Studium, Job und Familie sei sie mit Freunden nach Indien gereist, ohne sich wirklich für das Land zu interessieren. Eher skeptisch habe sie sich in ein buddhistisches Seminar mitschleppen lassen. „Der Anblick des lehrenden Mönches hat mich schlagartig tief beeindruckt“, sagt die 50-Jährige. Ihr Leben nahm nach diesem Erlebnis eine neue Wendung: Sie entschied sich, Indologie zu studieren und begann einige Jahre später, sich in einigen buddhistischen Zentren in Deutschland zu engagieren. Auf Elisabeth Steinbrückner traf Hernádi während des Studiums. „Ich habe sie dann genötigt, mir bei buddhistischen Veranstaltungen zu helfen – in tückischem Kalkül, dass der Funke überspringt“, sagt Hernádi augenzwinkernd. Mit Erfolg: Auch bei Steinbrückner sei es schließlich ein besonderer Lehrer gewesen, der sie überzeugt habe.

Nach der Abschlussmeditation löst sich die Runde der Teilnehmer in der Lindenstraße 12 allmählich auf, hier und da werden noch Verabredungen getroffen. Auf allen Gesichtern ist dabei eine tiefe Entspanntheit und Friedfertigkeit abzulesen. Fast wie beim Dalai Lama, der noch immer vom Altar lächelt.

Text: Julia Frese Fotos: Sebastian Gabsch

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