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Homepage: „Wie explodierender Schaum“

Der Physiker Prof. Bernard Schutz über die Multiversumstheorie, parallele Welten und die Religion

Stand:

Herr Prof. Schutz, es gibt eine Theorie, die von einem Multiversum, also unendlich vielen Universen, ausgeht. Ist unser Universum gar nicht einzigartig?

Die Möglichkeit, dass unser Universum nicht das einzige ist, das die Natur hervorgebracht hat, ist recht groß. Theoretisch passt es sehr gut. Die Frage ist, wie man solche Theorien bestätigen kann.

Ist das überhaupt möglich?

Direkte Beobachtungen sind ausgeschlossen. Diese Universen müssen so weit entfernt sein, dass wir sie nicht wahrnehmen können. Auch ein direkter, experimenteller Nachweis ist ausgeschlossen. Indirekt lässt sich über unsere grundlegenden physikalischen Theorien eine solche Modelltheorie aber aufrecht erhalten.

Nach dieser Theorie wäre die Idee eines einzigen Urknalls und eines ewigen Universums überholt.

Ja, tatsächlich. Es könnte unendlich viele Fälle eines Urknalls mit eigenen Universen geben. Es könnte sogar in unserem eigenen Universum ein weiteres Universum entstehen.

Wie muss man sich ein Multiversum vorstellen?

So, wie viele nebeneinander entstehende Blasen, wie ein Schaum. Aber dieser Schaum explodiert und die Blasen entfernen sich rasend schnell voneinander. Hintergrund dieser Theorie ist das Modell der Inflation. Danach hat sich unser Universum höchstwahrscheinlich in einem frühen Stadium sehr kurz sehr schnell ausgedehnt. Dafür haben wir bereits stichhaltige Beweise, denn die beobachtete kosmische Mikrowellenstrahlung zeigt uns einen Fingerabdruck dieser Inflation. Auch nach unseren grundlegenden Theorien gibt es eine solche Ausdehnungsphase. Nach der Multiversumstheorie ist diese Phase jedoch noch ausgeprägter und nicht nur eine Phase unseres eigenen Universums sondern vieler Universen und eines Hintergrundes – der sich allerdings schneller ausdehnt, als die einzelnen Blasen. Die Blasen können zwar nebeneinander entstehen, entfernen sich aber sehr schnell weit voneinander.

Sie sagten, auch innerhalb der Blasen könnte eine neue entstehen. Wäre also denkbar, dass gerade jetzt, hier im Institut in Golm, plötzlich ein neues Universum aufpoppt?

Theoretisch ist das tatsächlich möglich. Aber keine Angst, es ist sehr unwahrscheinlich. Die Voraussetzung für einen Urknall sind in Regionen mit einer beschleunigten Ausdehnung sehr viel besser als bei uns. Denn dort existiert viel mehr Energie, die in neuen Blasen aufgehen kann. Befindet man sich mitten in einer Blase, gibt es kaum freie Energie für eine neue Ausdehnung.

Welche Naturgesetze herrschen in den anderen Universen?

Das ist eine merkwürdige Sache. Die Multiversumstheorie ermöglicht viele andere Universen, in denen die Naturgesetze wahrscheinlich ganz anders sind, und Leben wie bei uns nicht möglich ist. Die in unserem Universum herrschenden Naturgesetze sind nach Auffassung der meisten Physik-Grundlagenforscher in der Inflationsphase selbst entstanden. Wir wissen ja, dass die sichtbare Materie in unserem Universum hauptsächlich aus Elektronen, Neutronen und Protonen besteht. Während Neutronen und Protonen sehr massereiche Teilchen sind, ist das Elektron viel leichter. Diesen merkwürdigen Unterschied verstehen wir nicht – aber er ist sehr wichtig für die Entstehung von Leben. In einem Universum, in dem Elektronen und Protonen die gleiche Masse haben, wäre die Chemie unserer Körper nicht vorstellbar. In anderen Universen sind die Atome sehr wahrscheinlich ganz anders aufgebaut als bei uns. Man fragt sich daher natürlich automatisch, warum bei uns genau die richtigen Bedingungen für das Leben existieren. Eine Antwort, von der die meisten Fundamentalphysiker überzeugt sind: Nicht Gott hat diese Voraussetzungen bestimmt, sondern der Zufall. Ohne diesen Zufall wären wir nicht hier und könnten diese Frage gar nicht stellen.

Der Zufall wird nur dadurch möglich, dass es unendlich viele Universen gibt. Könnte es also auch sein, dass Universen mit unseren Naturgesetzen existieren, sozusagen exakte Kopien, in denen Doppelgänger von uns leben?

Wenn es wirklich unendlich viele Blasen gäbe, dann folgt daraus, dass es irgendwo eine gibt, die unserer sehr, sehr ähnlich ist. Aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass gerade ein solches Universum sich in eine ganz andere Richtung bewegt. Die grundlegenden Gesetze der Quantenmechanik besagen, dass wir einfach keine genaue Vorhersage machen können – es ist Zufall was geschieht. Selbst wenn wir eine Universum fänden, dass unserem aufs Haar gleicht, wäre dessen Zukunft sicherlich eine ganz andere. Ein Kontakt unter diesen Universen ist aus Gründen der Naturgesetze unmöglich. Und für jedes ähnliche Universum gibt es eine große Zahl von Blasen in denen alles ganz anders läuft.

Die Theorie führt grundlegende Ansichten unserer Philosophie und Religion ad absurdum.

Ja, wir erreichen hier die Grenze der normalen Physik. Jenseits dieser Linie können wir keine Experimente machen. Wir können nur daran glauben, weil die Theorie nach unserem Verständnis konsistent ist. Ehrlich gesagt, sehe ich hier fast keinen Unterschied zwischen dieser Art von Physik und der Religion. Wir haben es mit einer Glaubensfrage zu tun. Die Religion kann sagen, dass es uns gibt, weil Gott es so wollte. Das ist auch etwas, das wir experimentell nicht bestätigen können. Der Unterschied ist, in der Religion glaubt man noch an einen Einfluss Gottes. In der Physik glauben wir das nicht.

Nun wird vor der neuen Generation der Teilchenbeschleuniger gewarnt. Die Experimente könnten schlimmstenfalls zum entstehen einer neuen Blase führen, heißt es.

Das befürchte ich nicht. Solche Experimente finden jede Sekunde ganz natürlich auf unserer Erde statt, wenn Strahlen kosmischer Energie auf die Erde stürzen. Sie besitzen sehr viel mehr Energie, als wir sie in unseren größten Beschleunigern erzeugen können. Der CERN-Beschleuniger in Genf wird ungefähr ein Terraelektronvolt erreichen. Die Energie der kosmischen Strahlen aus dem Universum ist 100 Millionen mal größer. Solche Energien prasseln ständig auf uns nieder. Die Erde selbst hat das Experiment so oft gemacht, ohne dass etwas passiert ist.

Die Theorie vom Multiversum klingt letztlich doch unglaublich.

Sie ist aber nicht verrückt, sie resultiert aus Modelltheorien der Physiker. Die Theorien selbst kann man nicht testen. Aber es gibt Varianten, die etwas näher an das Experiment heran kommen. Danach sollen die einzelnen Blasen sehr groß sein, größer als wir beobachten könnten. Selbst in unserer eigenen Blase können wir nur einen sehr kleinen Teil sehen. Jeden Tag aber sehen wir ein bisschen weiter in unser Universum. Vielleicht sehen wir ja bald, dass Elektronen in anderen Bereichen unseres eigenen Universums eine etwas andere Masse haben als bei uns. Unser Universum könnte also über die Andersartigkeit anderer Blasen Auskunft geben. Eine andere Variante der Theorie ermöglicht es, dass die Blasen ineinander stoßen. Dann würden wir bei uns im Universum plötzlich ein weiteres haben. Ob wir es sehen könnten, wissen wir allerdings nicht.

Was bringt die Theorie für Ihre Forschungsarbeit?

Sie ist nicht nur philosophisch interessant. Beispielsweise beschäftigen sich meine Kollegen hier am Albert Einstein Institut mit der Entwicklung einer neuen Grundlagentheorie der Physik. Sie arbeiten daran, eine einheitliche Theorie der Quantengravitation und der anderen Kräfte zu entwickeln, die so genannte Weltformel. Noch ist nicht klar, wie das geht, aber solche Überlegungen zeigen uns mögliche Richtungen. Außerdem können wir die sehr frühe Phase der Inflation in unserem Universum bereits beobachten. Noch weiter zurück in die Vergangenheit können wir mit einer völlig neuen Beobachtungsmethode eindringen: Der Messung von Gravitationswellen. Daran arbeiten wir hier in Golm seit Jahren mit großem Nachdruck. In nicht allzu ferner Zukunft werden wir erstmals unser Universum „hören“ und mehr über seine allerersten Momente erfahren.

Warum?

Die Hintergrundstrahlung von Gravitationswellen wird voraussichtlich einen ganz anderen Fingerabdruck haben, als die der Mikrowellen. Die Mikrowellen zeigen die Endphase der Inflation, die Gravitationswellen aber kommen tief aus der Entstehungsphase unseres Universums. Wenn wir endlich das Spektrum dieser Wellen messen können, werden wir viel über die frühe Entstehungsphase unseres Universums lernen. Allerdings werden auch sie keine Auskunft darüber geben, ob wir es mit einem Universum oder vielen zu tun haben.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Bernard Schutz (61)

ist wissenschaftlicher Direktor am Max- Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert Einstein Institut) in Golm. Der Physiker ist Honorarprofessor an der Uni Potsdam.

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