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Homepage: Wie im Märchen

Prof. Frithjof Bergmann über das Ende des industriellen Zeitalters, das Konzept der Neuen Arbeit und den „Personal Fabricator“

Prof. Frithjof Bergmann über das Ende des industriellen Zeitalters, das Konzept der Neuen Arbeit und den „Personal Fabricator“ Herr Prof. Bergmann, Sie sagen, wir müssen uns von der herkömmlichen Erwerbsarbeit verabschieden. Der Zukunftsmarkt sei die „Neue Arbeit“. Neue Arbeit ist nicht einfach eine Fortsetzung des herkömmlichen Jobsystem, sondern andere Arbeit. Ein wichtiger Teil davon ist eine Art der Arbeit, die eigentlich uralt ist, älter als die industrielle Arbeit am Arbeitsplatz. Das Jobsystem ist nur 200 Jahre alt, davor haben im Grunde alle als Bauern und Handwerker gearbeitet, man hat sich seine eigene Wurst und Käse selbst hergestellt. Jetzt kommt das nachindustrielle Zeitalter auf uns zu. In dieser Ära wird man in einer großen Spirale dahin zurückgehen, sich selbst Dinge zu machen. Wir sollen Wurst und Käse wieder selbst herstellen? Auch das, aber es geht vielmehr darum, dass wir die eigene Elektrizität, das eigene Haus herstellen. Ein Trend, der sich in Deutschland bereits entwickelt. Doch darüber hinaus, und das ist der Kernpunkt unseres Konzeptes, werden wir alle die Produkte, die man zu einem modernen Leben braucht, selbst fertigen können. All dies wird man sich in Werkstätten, die in der Nachbarschaft oder auch in Einkaufscentern entstehen, selbst anfertigen können. Sie sprechen von einem „Personal Fabricator“, der Fortführung der Idee des Personal Computers. Ich habe jahrelang in Stanford unterrichtet, der Universität, um die sich die Computertechnologie entwickelt hat. bei dem Zusammenbruch der New Economy haben sich Gruppen in Kalifornien entwickelt, die nicht mit Depression reagiert haben. Im Gegenteil, sie haben nach neuen Wegen gesucht. Und die sind im Prinzip ganz einfach. In den letzten 30 Jahren hat man Computer für das organisieren, verschicken und kategorisieren von Informationen genutzt. Die einzige Maschine, die wir mit den PCs verknüpft hatten waren Drucker. Das ist extrem fantasielos. Nun hat man die Idee gehabt, die Computer mit einer Vielfalt von Maschinen zu verknüpfen, etwa zum Brennen von CDs. Eine neue Technologie ermöglicht jetzt, sehr dünne Schichten aus einem extrem feinen Pulver aufzutragen und somit Gegenstände zu fertigen. Anstelle des Druckers steht nun diese Fabrikationseinheit. Daraus kann im Prinzip alles entstehen, etwa ein Motorblock, für den man bislang drei Kilometer Fließband gebraucht hat. Oder man kann den wichtigsten Teil eines Handys, Teile für Möbel aber auch Computer-Chips fertigen. Und zwar heute schon, das ist keine Zukunftsmusik. Klingt nach einem Wunder. Es gab tatsächlich in der Science Fiction-Literatur die Idee der „Universellen Maschine“. Und der „fabricator“ ist nun die Verwirklichung dieser Idee. Man kann damit eine Großzahl von Dingen produzieren, man ändert einfach das Programm, und er baut einen anderen Gegenstand. Das erstaunliche daran ist, dass der Glaskasten des „fabricators“ nur so groß ist wie ein gewöhnliches Aquarium. Man kann ihn aber auch größer machen, etwa um Teile für Häuser zu bauen. Das gibt es schon . Man kann es auch auf Holz ausdehnen, und mit dem so genannten flüssigen Holz arbeiten. Die Entwicklung ist rapide. Manch einer dürfte darauf mit Ungläubigkeit reagieren. Die Gefahr ist sehr groß, dass man die Entwicklung in Deutschland für eine Märchengeschichte hält. Was bei technischen Neuerungen in der Vergangenheit oft der Fall war. Das Wort Spinnerei kommt hier leider viel zu oft vor. In diesem Fall aber ist das Massachusetts Institute of Technology (MIT) damit befasst und neben Stanford noch viele bedeutende Universitäten, es gibt ganze Regale von Literatur und weltweite Konferenzen dazu. Wenn Deutschland nun seine skeptische Haltung gegenüber dem technischen Fortschritt nicht aufgibt, läuft es Gefahr die Entwicklung zu verschlafen. Ich bin nun mit einem Angebot an mittelständische Unternehmen nach Deutschland gekommen. Die betrifft die Entwicklung des postindustriellen Zeitalters in erster Linie. Ich hätte auch Interesse daran, in Potsdam Seminare für mittelständische Unternehmen zu geben. Es geht einerseits um die Technik, andererseits aber auch um den enormen Markt der sich in der so genannten Dritten Welt auftut. Ein Markt, auf dem 80 Prozent der Menschheit lebt. Sie sehen auch bei uns Perspektiven? Vor allem auch für ein Land wie Brandenburg. Die Arbeitslosigkeit ist hier besonders hoch, das Potenzial ist hier aber ganz außerordentlich. Das sollte nicht brach liegen. Kann man mit einem Konzept wie der Neuen Arbeit Arbeitsmarktpolitik betreiben, ein Sozialsystem finanzieren? Ein ganz zentraler Punkt. Ich arbeite heute schon für viele Regierungen als Berater. Ein Teil von dem Geld, das bislang für die Schaffung von Arbeitsplätzen ausgegeben wird – horrende Summen – sollte für die Entwicklung von lokalen Zentren für Neue Arbeit ausgegeben werden, in denen sich die Menschen das herstellen, was sie brauchen. Genau wie die Bauern das immer schon getan haben. Ein solche Entwicklung würde auch die Akzeptanz von arbeitsmarktpolitischen Reformen steigern. Wenn die Menschen beispielsweise ihre eigenen Möbel oder Schuhe produzieren, reduzieren sich die Kosten. Unter Umständen kann man die Kosten schneller senken, als derzeit die Sozialhilfe reduziert wird. Eine solche Entwicklung dürfte den großen Unternehmen allerdings nicht gefallen. Ein berechtigter Einwand. Allerdings haben die klügeren Köpfe der großen Betriebe erkannt, dass im Ganzen gesehen ihre Märkte abnehmen, weil die Armut zunimmt. Nehmen sie China, hier wächst die Armut derzeit rapide. Die klugen Unternehmen sehen, dass sich durch die Neue Arbeit ein neuer Markt öffnet. Ein riesengroßer Markt. Zudem werden die Menschen Arbeit erledigen, die sie machen wollen. Die Möglichkeit, einen Betrieb so umzuorganisieren, dass die Menschen auch stärker eine Arbeit machen, die ihren Begabungen entspricht, stößt bei den großen Betrieben auf offene Ohren. Gibt es kein Zurück mehr zum herkömmlichen System der Arbeit? Die Politik belügt ihre Wähler, wenn sie sagt, dass man die herkömmlichen Strukturen auf dem Arbeitsmarkt noch aufrecht erhalten kann. Das ist geradezu grotesk. Man tut noch so, als ob die alten Rezepte uns weiter helfen werden, obwohl die Spatzen es von den Dächern pfeifen, dass dem nicht so ist. Das ist tragisch. Das Problem kann in Deutschland nicht ehrlich und offen besprochen werden, so lange man keine wirkliche Lösung dafür vor Augen hat. Man klammert sich wie ein Ertrinkender an die alten Lösungen, weil man nicht fantasievoll und innovativ genug war, neue Wege zu suchen. Das Konzept der Neuen Arbeit ist eine solcher Weg. Auch in Deutschland gibt es mittlerweile Ansätze etwa in Kassel, Freiburg, Wuppertal, Chemnitz und Zschopau. Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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