
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: „Wie kann ich dir helfen?“
Psychiatrie-Chefarzt Dr. Christian Kieser über Diagnose und Therapie der Depression
Stand:
Was sind die möglichen Ursachen einer Depression?
Es gibt ein sehr komplexes Gefüge von Ursachen: Es gibt eine gewisse familiäre Bereitschaft zur Depression, die vererbt wird. Es gibt lebensgeschichtliche Entwicklungsmomente im Sinne von Traumata, von schweren Krisen, die zunächst überwunden werden und es gibt aktuelle belastende Situationen. Alles zusammen kann dann irgendwann einmal zu einer depressiven Phase führen.
Wie zeigt sich eine Depression?
Die klassischen Symptome einer Depression sind eine sehr gedrückte Stimmung, die Interessen gehen verloren, man hat keinen Elan mehr, man zieht sich zurück. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von körperlichen Symptomen vom Kopf bis zum Fuß. Schmerzen können das sein, Kopfschmerzen, Spannungsschmerzen, Magen-Darmbeschwerden bis hin zu schweren Schlafstörungen. Es gibt auch Tagesschwankungen, die Patienten fühlen sich morgens eher schlecht, sind sehr niedergeschlagen, sind kaum in der Lage, aus dem Bett zu kommen und fühlen sich nachmittags und abends eher besser. Der Appetit kann schwer gestört sein, das Körpergewicht nimmt ab, die Libido, das sexuelle Erleben ist gestört. Häufig zeigt sich die Depression auch zuerst unter diesen körperlichen Beschwerden.
Kann ich selbst Schuld sein an einer Depression?
Nein. Die Frage der Schuld stellt sich bei einer psychischen Erkrankung insbesondere bei einer Depression nicht. Es ist immer ein komplexes Gefüge, das zusammenwirkt. Der Erkrankte kann versuchen, im Laufe der Erkrankung und der psychotherapeutischen Behandlung Strategien zu entwickeln, um mögliche Risikosituationen in Zukunft eher zu vermeiden oder mit ihnen besser umzugehen.
Ich kann mich also vor einer Depression schützen?
Man kann sich sehr gut schützen, in dem man lernt, mit Stress und Belastungssituationen besser umzugehen.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Es gibt zum einen die Psychotherapie, die immer wichtiger wird. Man weiß mittlerweile, dass die psychotherapeutischen Verfahren gegen die Depression gut wirksam sind. Es gibt zum anderen die medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva. Bei schweren Depressionen ist die Kombination aus psychotherapeutischer und medikamentöser Behandlung der Weg, der gewählt wird.
Ist es richtig, dass es keinen universellen Weg der Heilung gibt?
Es sollte in jedem einzelnen Fall ein individueller Behandlungsansatz gefunden werden.
Wenn klar ist, dass ein Verwandter, Nachbar oder Freund unter Depressionen leidet – wie verhalte ich mich da am besten?
Wenn Sie merken, dass ein Angehöriger an Depressionen leiden könnte, macht es Sinn, ihn in professionelle Hilfe zu begleiten. Das kann zunächst eine Beratungsstelle sein, im günstigen Fall kann das der Hausarzt sein, im noch günstigeren Fall der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.
Ist die Frage: „Wie geht es Dir heute?“ eigentlich die richtige - oder nervt sie nur?
Die Frage kann und sollte gestellt werden weil sie ja deutlich macht, dass Sie an dem Befinden des Anderen interessiert sind. Selbstverständlich sollte es nicht bei dieser Frage bleiben. Die nächste sollte lauten: „Wie kann ich dir helfen?“ Was ungünstig ist, sind Ratschläge und Empfehlungen wie „Reiß dich zusammen, dann geht es wieder.“
Da würde man einen Fehler machen?
Man würde depressiv Erkrankte dadurch sehr unter Druck setzen. Oft setzen sie sich schon selbst sehr unter Druck, weil sie aus dieser Stimmung und der Antriebslosigkeit herauskommen wollen und es aus eigenem Antrieb nicht schaffen. Das ist der Unterschied zwischen Depression und schlechter Laune.
Was versprechen Sie sich von einem „Bündnis gegen Depression“ in Potsdam?
Das Bündnis kann die Öffentlichkeit erreichen, so dass über diese Erkrankung gesprochen wird. Ich erhoffe mir Enttabuisierung, Entstigmatisierung. Ich möchte, dass die Bürger dieser Stadt über die Hilfs- und Behandlungsmöglichkeiten von Depressionen gut informiert sind; dass sie wissen, wohin sie sich wenden können. Auf der professionellen Ebene erwarte ich, dass die Kooperation zwischen der Klinik und dem niedergelassenen Arzt und Psychotherapeuten, den Selbsthilfegruppen und weiteren Hilfesystemen verbessert wird.
Ist Depression gesellschaftlich bedingt?
Das kann man so nicht sagen. Oft wird gesagt, Depressionen seien heute häufiger als früher. Diese Aussage ist so nicht zutreffend. Die Erkrankung wird heute nur häufiger diagnostiziert, weil man heute aufmerksamer ist, weil die diagnostischen Möglichkeiten besser sind.
Sind Depressionen heilbar?
Man kann Menschen, die an Depressionen erkrankt sind, zu 85 Prozent gut behandeln, einen Teil auch heilen. Es gibt einen gewissen Prozentsatz, zwischen 15 und 20 Prozent, die länger an Depressionen leiden und wo die Behandlungsmöglichkeiten deutlich Grenzen haben.
Es gibt auch Niederlagen im Kampf gegen Depressionen
Die Depression und das Risiko der Selbsttötung gehen eine sehr teuflische Koalition ein. Wir wissen, dass Menschen mit Depressionen ein wesentlich höheres Risiko der Selbsttötung haben als Menschen, die nicht daran leiden. Das begleitet uns Therapeuten und in gewissen Situationen merken wir, dass wir an Grenzen stoßen und die Selbsttötung als letzte Konsequenz schwerer Depressionen nicht verhindern können. Das Risiko darf nicht in die dunkle Ecke gedrängt werden, wir müssen auch Selbsttötungs-Prävention betreiben. Wir müssen wachsam sein und depressive Menschen rechtzeitig in Behandlung bringen.
Das Interview führte Guido Berg
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