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Gewisse Distanz. Die Kamera kann für Fotografen als Schutzschild wirken.

© A. Klaer

Homepage: Wie Kulturen erinnern

Eine Ausstellung mit dem Titel „Flickers of Memory“ am Einstein Forum fragt nach der Bedeutung dokumentarischer Bilder

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Eine Frau steht vor einer riesigen Grabsteinplatte. Gebannt blickt sie auf die tausenden stechend roten Buchstaben, die in den Stein geschlagen sind. Die Buchstaben ergeben Namen, ergeben Tage, Orte. Was dort zu lesen ist, sind die Namen tausender Menschen, die ihr Leben durch einen Massenmord verloren haben. Jemand schießt ein Foto von dieser Szene. Warum fotografiert jemand so eine Szene? Was macht man mit so einem Bild, aufhängen, weglegen?

Die Frage nach der Bedeutung und Ästhetik dokumentarischer Bilder beschäftigt Theoretiker seit Anbeginn der Fotografie. Insbesondere die Diskussion über die moralische Vertretbarkeit von Fotojournalismus und Kriegsfotografie ist seit der einfachen Verbreitung von fotografischem Material über das Internet wieder entbrannt. Das Einstein Forum zeigt derzeit zu dieser Problematik eine Ausstellung mit dem Titel „Flickers of Memory“. Namensgeber und zugleich Quelle der ausgestellten Bilder ist die Web-Plattform Flickr, auf der Amateure und professionelle Fotografen ihre Bilder veröffentlichen. Unlängst eröffnete die Kunsthistorikerin Stephanie Benzaquen als Kuratorin die Ausstellung, die ein kleines Fragment des virtuellen Archivs darstellt.

Benzaquen beschäftigt sich in ihrer Forschung mit der visuellen Verarbeitung von traumatischen Ereignissen, wie Genozid und Massenverbrechen. Während ihrer Forschung bemerkte sie die überwältigende Vielfalt an Bildern auf Flickr, die sich mit diesem Thema befassen. Aus über vierhundert Bildern wählte sie zirka zwanzig aus, die nun in Komposition mit Zitaten von Fotojournalisten und Reportern zu sehen sind. Die Bilder sind aus Kambodscha, Argentinien, Südafrika, Vietnam und weiteren Ländern. Es sind keine professionellen Fotografen, sondern ausschließlich Laien, die diese Fotos schossen.

Die zentrale Frage hinter dieser Ausstellung ist die Frage danach, wie Kulturen erinnern und dies visuell darstellen. Gibt es ein kollektives visuelles Gedächtnis, dank Massenkultur und Globalisierung? Gibt es wiederkehrende Muster in der Verarbeitung vergangener, traumatischer Ereignisse? Und wenn ja, können Länder voneinander lernen? Die Beantwortung dieser Fragen ist ebenso problematisch, wie die Thematik an sich. Ein dokumentarisches Bild kann eine ästhetische Komposition haben und daher als gut empfunden werden, betrachtet man aber das Objekt und die Botschaft des Bildes, kann es einem die Sprache verschlagen. Ist es überhaupt moralisch vertretbar ein Foto von einem Massengrab zu schießen?

Die Kamera, so sagen Fotografen, wirkt wie eine Art Schutzschild. Durch das Hindurchsehen durch die Linse, gewinnt man eine gewisse Distanz und oft erkennt der Fotograf erst nach der Entwicklung die Bedeutung des Fotografierten. Ein Zitat der Ausstellung verdeutlicht, wie einem Fotografen erst später bewusst wurde, was er eigentlich fotografiert hatte: „Und als ich das Foto dann in der Hand hielt, konnte ich kaum drauf blicken, so überwältigt war ich von dem, was ich dort sah. Ich konnte es tagelang nicht in die Hand nehmen.“ Wenn derartig eindringliche, teilweise schreckliche Bilder dann im Internet frei zugänglich und damit unendlich reproduzierbar sind, potenziert sich der Effekt.

Menschen, die ihre Bilder auf Plattformen wie Flickr veröffentlichen, nähren ein globales, virtuelles, visuelles Gedächtnis. Und die Bedeutung solcher Archive nimmt in unserer digitalisierten Welt zu. Die aktuelle Ausstellung des Einstein Forums referiert und problematisiert die Verbreitung traumatischer Fotos im Internet und deren Umgang in Hinblick auf kulturelles Erinnern. Die Ausstellung ist seit langem geplant, könnte aber kaum aktueller sein, bedenkt man die visuelle Präsenz der dramatischen Ereignisse in Japan in den letzten Monaten.

Die Ausstellung „Flickr of Memory“ findet im Zusammenhang mit der internationalen Tagung des Einstein Forums „Translating Atonement: Can Countries Learn From Each Other?“ statt (2. bis 4. Juni). Näheres unter www.einsteinforum.de.

Josefine Schummeck

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