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Links und rechts der Langen Brücke: Wie lange hält der Lack?

Jan Brunzlow über eine geteilte Stadt und die Erkenntnis, dass jeder fünfte Erstklässler von Arbeitslosengeld II lebt

Stand:

Potsdam hat von einem wirklich viel. Von Menschen, die zwischen Glienicker Brücke und Sanssouci pendeln und die Zerrissenheit der Stadt nicht bemerken. Dabei würde allein eine Fahrt mit der Straßenbahnlinie 91 vom Bornstedter Feld bis zum Kirchsteigfeld für eine Sozialstudie über Potsdam ausreichen. Denn die Stadt ist geteilt. In Himmelsrichtungen, Stadtteile und soziale Schichten – wie jede andere Stadt auch. Doch in nur wenigen Städten ist die Diskrepanz von Arm und Reich in so geordneten und kartierten Verhältnissen zu beobachten. Das ist besorgniserregend für die Entwicklung der Landeshauptstadt, jedoch seit Jahren politisch und strukturell nicht unterbunden worden. Im Nachhinein gesehen war es vielleicht sogar schädlich für die Stadtentwicklung im Ganzen, dass sie – wie in viele andere ostdeutsche Städte – nicht den Supergau erlebt hat. Anderswo folgten Wegzug und Trostlosigkeit Umdenken und Umsteuern. Auch in Potsdam feiert man häufig, dass die rasche Sanierung und Aufwertung der Plattenbauten zur Heilung der klaffenden Wunde in der Stadt beigetragen haben. Jedoch wurde nur die Blutung gestillt. Für wie lange? Während in anderen Regionen ein Stadtumbau vollzogen wird und Plattenbauten das Aussehen moderner Stadthäuser annehmen, war die Devise in Potsdam: den Lack erneuern. Die Auswirkungen zeigen die Statistiker in ihren Berichten jährlich. Vor allem in den Plattenvierteln sinkt die Kaufkraft der Einwohner und steigt die Abhängigkeit von staatlichen Hilfen seit Jahren. Und noch etwas ist besorgniserregend. Insgesamt nimmt die Anzahl der Familien, die Arbeitslosengeld II bekommen, zu. Inzwischen ist statistisch gesehen beinahe jedes fünfte Potsdamer Kind, das demnächst zur Schule kommt, von Armut betroffen. Eine Sonderzahlung für die erste Schulausstattung gewährt das Amt nicht. Also bleibt es für betroffene Eltern bei dem monatlichen Regelsatz von 207 Euro inklusive Kindergeld. Genau so viel, wie gut verdienende Potsdamer bei einem großen privaten Schulträger monatlich an Schulgeld für ihre Sprösslinge zahlen. Was sie dafür bekommen ist nicht vordergründig eine bessere Grundbildung ihrer Kinder. Es ist vor allem ein noch ausgewogenes soziales Umfeld – während anderenorts in Brennpunkten Schulleiter um die Zuweisung von Schulsozialarbeitern betteln müssen. Denn davon hat Potsdam nicht wirklich viel.

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