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Von Jan Brunzlow: Wie Tentakel einer Feuerqualle

Scheinbar unkoordiniert fliegen die Jets schon heute über beinahe jeden Teil der Landeshauptstadt

Stand:

Ein Netz von gelben, roten und orangenen Linien wird auf den Bildschirm des Computers gesponnen. Es sind Flugspuren, also Flugdaten der in Berlin gelandeten Flugzeuge vom Montag, dem 8. November. Zwar schweigt die Deutsche Flugsicherung (DFS) derzeit und will sich zu künftigen Routen von und zum neuen Flughafen BBI in Schönefeld nicht mehr äußern. Doch den aktuellen Stand aller Flugbewegungen von und zu den Hauptstadtflughäfen werden veröffentlicht – mit Höhenangaben, Flugzeugtyp und der Flugbezeichnung. Schnell wird klar: Schon heute gibt es eine Vielzahl von Jets, die scheinbar unkoordiniert über das Gebiet der Landeshauptstadt fliegen. Was die Karten zudem deutlich zeigen: Kein Flugzeug fliegt wie das andere, beinahe jeder Teil der Stadt wird überquert.

Es ist ein Vorgeschmack auf die neuen Flugrouten, auf denen die Flugzeuge im Anflug auf den BBI in Höhen ab 900 Meter über das Stadtgebiet führen werden. Das hat die DFS bereits erklärt. Potsdam zu überfliegen sei dabei beinahe alternativlos, hieß es. Bei Ostwind – der weht an etwa einem Drittel der Tage im Jahr – werden die Landeanflüge über Potsdam führen. Den Großteil des Jahres könnten die Jets über Potsdam starten. Die Fluglotsen versprechen zumindest bei den Starts Höhen von 2500 Metern und mehr. Ob, in welcher Höhe und Häufigkeit sie künftig über Potsdam fliegen, wird allerdings davon abhängen, ob es am BBI in Schönefeld künftig Parallelstarts oder abknickende Startrouten gibt. Darüber wird gestritten.

Schon heute sehen die Karten mit den Anflugrouten aus wie Tentakel einer Feuerqualle. Und so werden sie von Fluglärmgegnern auch wahrgenommen. Als gefährlich, sie reagieren allergisch darauf. Die Bevölkerung ist inzwischen für Fluglärm und städtische Überflugrouten sensibilisiert. In der Region Teltow ist bereits ein Auto, bepackt mit Boxen, um den Geräuschpegel von Flugzeugen zu simulieren, durch die Straßen gefahren. In Potsdam regt sich vor allem im nördlichen Stadtgebiet der Widerstand, acht Bürgerinitiativen soll es gegeben haben, die sich nun mit anderen in der Region zum Bündnis „Berlin-Brandenburg gegen neue Flugrouten“ zusammengeschlossen haben. Jedes Flugzeug wird beobachtet – wie hoch wird es wohl fliegen? Vor allem Orange dominiert bei den Grafiken der Überflüge vom Montag über Potsdam und dem Umland. Doch die roten Linien sind die wirklich interessanten: Flugzeuge, die unter 1000 Meter Höhe über das Stadtgebiet fliegen. 914 Meter zeigt der nachgestellte Höhenmesser an, eine Boeing 737-800 ist es, die sich am Montagmorgen in dieser Höhe im Landeanflug auf Berlin-Tegel befindet. Die Höhe hat sie über Nuthetal und behält sie über Hermannswerder, Potsdam-West und Marquardt bei. 3000 Fuß ist das korrekte Höhenmaß, in der die Deutsche Flugsicherheit misst. Umgerechnet sind es jene 914 Meter. Beim Scrollen über die Anflugkarte der DFS im Internet können die Flüge einzeln gezählt werden. 35 sind es am Montag über Potsdam in Richtung Norden, ein weiteres Dutzend Jets hat in Höhe des Sacrow-Paretzer-Kanals von Ost nach West überquert und ist dann nach Tegel abgedreht. Laut Flugsicherung hatten alle Höhen zwischen 914 und 1828 Metern, zwischen 3000 und 6000 Fuß.

Diese eine Karte mit den etwa 50 Überflügen innerhalb von 24 Stunden gibt allerdings nur die halbe Wahrheit wieder, denn die An- und Abflüge am Flughafen Schönefeld werden auf einer anderen Karte dargestellt. Deren Anflug-Tentakel verliefen am Montag vor allem über Werder (Havel), Schwielowsee, Michendorf und Wilhelmshorst. Laut Flugrouten der DFS alle über 1200 Meter. Nur etwa eine Handvoll Flieger sind dabei über Potsdam geflogen.

Lauter als Landungen sind die Starts, sagen Flugsicherung und das Infrastrukturministerium des Landes. Mehr Schub der Maschinen bedeutet auch mehr Krach. Vor allem die Riesenjumbos, die derzeit nicht regelmäßig in Berlin starten und landen, sind lauter und steigen langsamer. In den Grafiken der aktuellen Flüge erreichen daher alle startenden Flugzeuge über Potsdam die von der DFS prognostizierte Flughöhe von mindestens 2400 Metern. Am Sonntag, dem 7. November, haben sieben Jets von Tegel aus Potsdam überquert. Der tiefste: 2438 Meter, 8000 Fuß. Und von Schönefeld? Am Samstag waren es zwei, beide weit über 3000 Meter hoch. Am Freitag seien es sechs Jets gewesen, der tiefste 3300 Meter. Eine Boeing 737, ein Mittelstreckenjet, am Computer angezeigt mit einer gelben Linie.

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