Von Michael Meyer: Wieder auf der Matte
Judoka Yvonne Bönisch will nach der Enttäuschung in Peking heute mit Potsdam Deutscher Meister werden
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„Ich habe wieder Lust auf Judo“, sagt Yvonne Bönisch, die heute mit den Frauen des UJKC Potsdam in Leipzig den Deutschen Mannschaftsmeistertitel erfolgreich verteidigen will. „Ich will wieder kämpfen und bin auch vom Kopf her wieder soweit.“
Das war Mitte August noch nicht so. Bönisch – vor vier Jahren in Athen als erste deutsche Judo-Olympiasiegerin gefeiert – musste bei den Olympischen Spielen in Peking schon nach drei Kämpfen um 57-Kilo-Limit als Verliererin ihre Sachen packen. „Meine ersten Gedanken danach waren, alles hinschmeißen zu wollen“, blickt sie zurück. „Ich war so enttäuscht. Vier Jahre lang hatte ich auf diesen Tag hin gearbeitet, hatte ich mich auch von zahlreichen Verletzungen nicht bremsen lassen. Und nun das. Ich war völlig am Boden.“ Die Hilfe eines mitgereisten Psychologen der Judo-Nationalmannschaft nahm sie anschließend nicht in Anspruch. „Bei manchem passt es, bei manchem nicht, und für mich war das nicht so das Ding“, meint sie dazu.
Wenige Tage später nach Potsdam heimgekehrt, nahm Yvonne Bönisch erstmal eine vierwöchige Auszeit. „Ich war in ein tiefes Loch gefallen und musste damit erst einmal zurechtkommen. Ich bekam zwar viele aufmunternde Anrufe, E-Mails und SMS. Aber die ständige Frage, wie es mir gehe, hätte ich nicht ertragen“, erzählt die 27-Jährige und gesteht: „Die Fernsehbilder aus Peking taten mir richtig weh, und mit der Abschlussveranstaltung war ich froh, nicht mehr ständig daran erinnert zu werden.“
Bönisch reiste, war in Bratislava, Mailand und Wien. „Danach hatte ich genügend Abstand, um über Olympia zu reden“, sagt die Potsdamerin und räumt ein, in Peking den Erfolgsdruck als Titelverteidigerin unterschätzt zu haben. „Als ich dort gegen meine erste Gegnerin Guilia Quintavalle auf die Matte ging, ging mir plötzlich der Gedanke durch den Kopf: Was, wenn das jetzt schief geht? Das passierte mir das erste Mal, sonst war ich immer mit dem Gedanken angetreten, dass ich jede Gegnerin schlagen kann. Prompt machte ich einen nur halbherzigen Angriff, den die Italienerin konterte und wodurch sie gewann.“ Dass Quintavalle im weiteren Turnierverlauf sogar Olympiasiegerin wurde, sei für sie „keinerlei Trost“ gewesen, räumt Bönisch ein.
„Meinen Olympiasieg von Athen kann mir aber niemand nehmen. Das half mir – und jetzt gucke ich nach vorn“, verkündet die Sushi-Liebhaberin, die seit kurzem gern mit einer „Vespa“ durch Potsdam düst. In den vergangenen Wochen hat sie an der Kölner Trainerakademie den ersten Teil ihrer A-Trainerschein-Ausbildung absolviert und sich wieder mehr um ihr Sport-Management-Fernstudium gekümmert; im November wird sie ein Praktikum am Olympiastützpunkt Potsdam machen. „Ich werde dem Judo treu bleiben, aber nicht mehr so ausschließlich wie bisher“, erklärt Yvonne Bönisch. „Im September nächsten Jahres will ich mein Studium beenden und dann sehen, wie es weitergeht. Ich möchte gern weiter meinen Sport machen, mich aber auch stärker beruflich entwickeln. Schließlich gibt es ein Leben nach dem Judo.“ Hinsichtlich der nächsten Olympischen Spiele 2012 in London will sie sich nicht festlegen. „Ich sage nicht: London ist kein Thema“, so Bönisch. „Aber ich muss abwarten, wie es für mich jetzt in der 63er laufen wird.“
Die 63er, das ist die nächsthöhere Gewichtsklasse nach dem 57-Kilo-Limit, für das die Potsdamerin regelmäßig abnehmen musste und in dem sie in den vergangenen Jahren Olympiasiegerin, zweimal Vizeweltmeisterin und zweimal Europameisterschafts-Zweite wurde. „Ich bin schon mehrmals in dieser Gewichtsklasse angetreten, habe da beispielsweise auch die Holländerin Elisabeth Willeboordse, die Olympia-Dritte dieses Jahres, besiegt; ebenso Sarah Clark aus England, die Europameisterin von 2006“, erzählt Bönisch. „Das zeigt, dass ich da mitmischen kann. Ob über einen längeren Zeitraum, das wird sich zeigen müssen.“ Mit dem neuen Frauen-Bundestrainer Michael Bazynski habe sie bereits gesprochen. „Er hat dabei versichert, dass er mit mir plant.“
Auch heute in Leipzig will Yvonne Bönisch in der 63-Kilo-Klasse auf die Matte gehen, obwohl sie zu Wochenbeginn noch mit einer leichten Erkältung kämpfte. Um in den Endkampf des Sechser-Turniers einzuziehen, muss der UJKC den KSV Esslingen und den JC Kim-Chi Wiesbaden besiegen. Im Finale dürfte dann der JC Leipzig oder der Vorjahreszweite PSG Dynamo Brandenburg warten. „Wir wollen den Titel verteidigen – aber leicht wird das nicht, denn Leipzig ist auch sehr stark, und die Brandenburgerinnen sind sehr ehrgeizig“, weiß die Potsdamerin.
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