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SAMSTAGScocktail: Wieder da

Immer, wenn ich weg war, komme ich mit gewaltigen Erwartungen zurück. Ich fahre in die Stadt ein wie eine Königin, die mit angespanntem Interesse ihre Heimatländereien wieder in Augenschein nimmt.

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Immer, wenn ich weg war, komme ich mit gewaltigen Erwartungen zurück. Ich fahre in die Stadt ein wie eine Königin, die mit angespanntem Interesse ihre Heimatländereien wieder in Augenschein nimmt. Manchmal bin ich nur ein oder zwei Tage weg. Wie geht es voran?, frage ich mich dann trotzdem jedes Mal. Ist eine neue Ära angebrochen? Haben klimatische Veränderungen die Stadt während meiner Abwesenheit grundlegend verwandelt? Konnte Unbill und Niedertracht inzwischen Einhalt geboten werden? Ich möchte den Fortschritt bei der Arbeit sehen, ich hoffe auf spektakuläre Dinge, die geschehen sind. Etwas Einzigartiges, nie Dagewesenes schwebt mir vor. Neuartige Lösungen für Wohnungssuchende oder den Straßenverkehr, Hochbahnen, Tunnel, Fließbänder für Fußgänger, ein Hochhaus, wo vorher nur Wiese war oder umgekehrt. Meistens denke ich dann, dass die Stadt meine Abwesenheit schlecht genutzt hat, beziehungsweise überhaupt nicht, dass ich mir mein Weggehen also hätte sparen können. Im Grunde finde ich es empörend, dass die Zeit an dem Ort, an dem ich normalerweise wohnhaft bin, während meines Wegseins nicht mindestens doppelt so schnell abgelaufen ist wie dort, wo ich mich die letzten Wochen oder gar Monate aufgehalten habe. Schließlich war ich, denke ich, wenn ich wieder da bin, doch nur weg, um der Stadt die Chance zu geben, ein bisschen aus sich rauszugehen, mich zu überraschen und zu umwerben. Denn fährt man etwa nicht deshalb weg, damit man weiß, was das Unverwechselbare der Heimat ausmacht? In meinen Augen gleicht es fast einer Beleidigung, wenn etwas, das ich von zu Hause kenne, auch woanders existiert. Etwas, das dort womöglich noch für wichtiger gehalten oder – anders als ich es gewohnt bin – gänzlich unironisch gehandhabt wird. Auf dem Kirschblütenfest der japanischen Sektion einer von Japan aus gesehen weit entfernten amerikanischen Universität trugen die Professoren kürzlich traditionelle Kimonos. Sie bearbeiteten mit einem Hammer auf traditionelle Weise Reis in einem Bottich und sangen mit feierlich-zittriger Stimme das Sakura-Lied, so wie es seit Jahrhunderten gesungen wird. Sie waren auf ernsthafte Weise Abgesandte einer Kultur und eines Landes, von dem sie noch dazu Tausende Kilometer entfernt waren. Die Abgesandte welcher Handlungen, welcher Kultur werde ich sein, auf gänzlich unironische Weise, wenn ich demnächst wieder einmal weg bin?!

Unsere Autorin lebt in Potsdam. Zuletzt erschien von ihr der Roman „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“.

Julia Schoch

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