
© Johanna Bergmann.
Wie eine syrische Familie den Alltag in Potsdam erlebt: Wieder Papa sein
Im Mai konnte der Syrer Amin Aljamakani Frau und Kind aus Damaskus nach Potsdam holen. Die PNN begleiten die Familie.
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Potsdam - „Hallo“, „Tschüß“, „Auto“, „Affe“, „Ball“ – die wichtigsten deutschen Wörter hat der kleine Allith mittlerweile schon gelernt. Seit gut zwei Monaten ist der knapp Zweijährige mit den großen, dunklen Kulleraugen und den Korkenzieherlocken jetzt in Potsdam. Am 18. Mai kam er mit seiner Mutter aus Damaskus an – um hier groß zu werden. Ein Jahr hatte er seinen Vater nicht gesehen – eine Ewigkeit. „Die ersten ein, zwei Wochen hat er mich Onkel genannt“, erzählt Amin. „Aber jetzt nennt er mich Amin. Oder Papa.“
Tatsächlich ist von der Distanz der ersten Minuten am Flughafen zwischen den beiden nichts mehr zu spüren. Allith zieht seinen Vater an der Hand und will mit ihm den Spielplatz auf der Freundschaftsinsel erkunden, als er einmal hinfällt, lässt er sich von Amin trösten.
Auch Reem ist dabei, Alliths Mutter und Amins Frau. Muss es für sie nicht wahnsinnig schwer sein, sich hier in der Fremde zurechtzufinden, wo alles so anders ist als in Syrien? Reem lacht. Nein, sagt die 29-Jährige auf Englisch. „Es ist sogar noch besser hier, als ich es mir vorgestellt habe. Die Leute sind so freundlich zu uns, und wir sind endlich in Sicherheit.“ Es sind Sätze, die man oft von Flüchtlingen hört. Doch bei Reem hat man nicht das Gefühl, dass sie sie nur sagt, um nicht undankbar zu wirken. Sie scheint wirklich glücklich zu sein.
Noch leben die drei zu dritt in einem Zimmer
Dabei ist der Alltag alles andere als komfortabel. Denn eine eigene Wohnung haben die drei noch nicht, sie leben immer noch bei der Babelsberger Familie, die Amin einst Unterschlupf gewährte. Zu dritt schlafen sie jetzt im umgeräumten Arbeitszimmer der Familie, deren Kinder schon aus dem Haus sind. Trotz der Enge verstehen sie sich gut mit dem Ehepaar, die beiden Potsdamer lieben Allith – und das syrische Essen, das Reem kocht. Schon in ein paar Tagen könnte die Familie aber ihre eigene Wohnung im Süden Babelsbergs beziehen – noch warten sie auf die Bestätigung vom Jobcenter, dass die Kosten übernommen werden.
Eine Arbeit hat Amin noch nicht, er muss erst Deutsch lernen. Viele Monate hat es gedauert, bis er den Integrationskurs beginnen konnte. Auch Reem will eigentlich so schnell wie möglich die neue Sprache lernen. Doch solange Allith nicht in der Kita ist, klappt das nicht. Dass es schwer ist, einen Betreuungsplatz in Potsdam zu finden, wissen die beiden. Amin war beim Kita-Tipp, aber dort konnte man ihm nicht wirklich weiterhelfen, wie er berichtet. Von anderen hat er gehört, wie man in Potsdam an einen Kita-Platz kommt: Man tingelt durch alle Einrichtungen und spricht persönlich vor – in der Hoffnung, dass man auf eine der langen Wartelisten gesetzt wird. Eine deutsche Bekannte will den beiden jetzt helfen. „Aber ich weiß, dass es auch für die Potsdamer sehr schwer ist, einen Platz zu finden“, sagt Amin. So lange will Reem noch den Mutter-Kind-Kurs besuchen, den Ehrenamtliche anbieten und zu dem Allith mitkommen kann.
Reem hat ihren Vater im Krieg verloren
Kennengelernt haben sich Reem und Amin in Damaskus, sie waren Kollegen bei der syrischen Anwaltskammer. Sie arbeitete dort als Juristin, er als Designer und Programmierer in der Pressestelle. Als Amin zur Armee eingezogen werden sollte, ergriff er die Flucht und schlug sich nach Deutschland durch – wie viele junge Männer, die fürchten, ihr Leben in dem seit Jahren tobenden Bürgerkrieg zu verlieren. Dass der Tod eine reelle Bedrohung im heutigen Syrien ist, musste die Familie schon am eigenen Leib erfahren: Reems Vater wurde vergangenes Jahr im Krieg getötet. In Damaskus zurückgelassen hat Reem nun ihre Mutter und ihre Schwester. Sie telefonieren oft, sagt sie. Aber auf ein Wiedersehen in naher Zukunft kann sie nicht hoffen, der sogenannte Familiennachzug galt nur für sie und Allith. „Und über das Meer können sie nicht kommen. Das ist zu teuer.“
Reem, Amin und Allith sind jetzt also eine Kleinfamilie – wie sie in ihrer neuen Heimat Potsdam weitverbreitet ist. Der nächste Schritt auf dem Weg zu einem „normalen“ Alltag ist nun der Umzug, das eigene Zuhause. Wenn es soweit ist, müssen sie sich um Möbel kümmern und alles, was zu einem Haushalt dazugehört. Auf die Frage, was noch fehlt, winkt Amin ab. „Wir haben schon fast alles“, sagte er. So viele Bekannte und Nachbarn hätten ihnen schon geholfen, zum Beispiel auch mit einem Kinderwagen für Allith.
Der ist mittlerweile aufgetaut und fasst Vertrauen zu der fremden Reporterin. „Hallo, hallo“, ruft er immer wieder vom Arm seines Vaters aus und zupft zwischendurch an den Weidenästen, die hier am Ufer der Alten Fahrt herabhängen. Und als es daran geht, sich zu verabschieden, winkt er. Bis zum nächsten Mal, Allith!
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