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Landeshauptstadt: Wilder Westen auf dem Ku“damm

Durchs vornehme Berlin, durch Grunewald, führt unser vierter Spaziergang. Hier lebten einst die Superreichen des Kaiserreiches. Als die Villenkolonie ab 1898 gebaut wurde, gruben Gastarbeiter vier künstliche Seen. Denn Wassergrundstücke lie

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Durchs vornehme Berlin, durch Grunewald, führt unser vierter Spaziergang. Hier lebten einst die Superreichen des Kaiserreiches. Als die Villenkolonie ab 1898 gebaut wurde, gruben Gastarbeiter vier künstliche Seen. Denn Wassergrundstücke ließen sich teurer verkaufen STADTTOUR 4: VOM PALAST DES KAISERANWALTS ZUR KIRCHE DES WEISSKÄSEHEILERS Von Carl-Peter Steinmann Es staubte gewaltig. Eine Gruppe von Rothäuten floh auf Pferden, Schüsse peitschten, ein Indianer sank getroffen zu Boden. Sein Mörder, ein Cowboy, hielt den rauchenden Colt noch in der Hand und mit der anderen schwang er sein Lasso. Es war das Jahr 1890, und an der Kreuzung Kurfürstendamm Ecke Joachimstaler Straße lag der Wilde Westen. Buffalo Bill – eigentlich Oberst W. F. Cody, als Showunternehmer zu Weltruhm gelangt – trat mit 200 Cowboys und Indianern, mit Pferden und Büffeln in Berlin auf. Obwohl der Kurfürstendamm schon seit drei Jahren für den Straßenverkehr freigegeben war, standen in diesem neuen Teil Berlins erst wenige Häuser. Hier war genug Platz für das Spektakel und Massen begeisterter Berliner. Der Bau des Kurfürstendammes war Bestandteil eines Tauschhandels gewesen, der dem Wilden Westen alle Ehre gemacht hätte. Beteiligte Parteien: die Kurfürstendamm-Gesellschaft, verschiedene Banken und der preußische Staat. Die Banken sollten den 3,5 Kilometer langen und 53 Meter breiten Kurfürstendamm auf ihre Kosten bauen – und im Gegenzug ein 235 Hektar großes Stück Grunewald zur Anlage einer Villenkolonie bekommen. Reichskanzler Otto von Bismarck hatte sich wegen der leeren öffentlichen Kassen persönlich bei Wilhelm I. für diesen Handel eingesetzt. Zur Vereinbarung gehörte auch, dass die Villenkolonie „Landgemeinde“ wurde, was für die zukünftigen Bewohner, die ihr Einkommen nicht mehr in Berlin versteuern mussten, eine enorme Ersparnis bedeutete. 1898 begann der Straßenbau. Außerdem gruben „Gastarbeiter" aus Galizien, Kroatien und Serbien für einen Stundenlohn von 30 Pfennigen jene Seen, die später Diana-, Hertha-, Koenigs- und Hubertussee genannt werden sollten. Die künstlichen Seen waren wichtig für die Kurfürstendamm-Gesellschaft, denn Seegrundstücke ließen sich teurer verkaufen. Und die, die sich hier stattliche Villen errichteten, mussten nun wirklich nicht auf den Pfennig achten: Sie gehörten zu den Superreichen des Kaiserreichs. Die Filetgrundstücke sicherten sich dann auch die Bankiers Koenigs, Fürstenberg, Mendelssohn, die Warenhausbesitzer Wertheim, die Verleger Ullstein, Scherl und Fischer und zahlreiche Industrielle, die meist am „Kuhhandel" beteiligt gewesen waren. Die kleineren Grundstücke begehrten vor allem Architekten, Juristen und Künstler. Der Spaziergänger findet heute noch viele dieser stattlichen Villen und Landhäuser. Nur die einst so riesigen Grundstücke drumherum sind nach und nach immer kleiner geworden. Ein Beispiel: das mit 100000 Quadratmetern damals größte Grundstück des Verlegers August Scherl; er hatte den ehemaligen Forstdienstacker an der Bismarckallee gekauft. Nach Scherls Tod wurde das Grundstück in mehr als 20 Parzellen aufgeteilt. Mitten hindurch verläuft heute die Taubertstraße. Die Prachtentfaltung, die die Bewohner des neuen Viertels betrieben, war enorm. Man zeigte seinen Reichtum und man feierte seine Feste groß – wie die Hochzeit von Walter Pannwitz zum Beispiel, Anwalt des Kaisers, der zudem mit Zuckerrohrplantagen und Kohlegruben zum Multimillionär geworden war. 1000 Gäste hatte er in sein Palais an der Brahmsstraße geladen, das heute das Regent Schlosshotel ist, und hatte 200 Diener geheißen, ihnen alle Wünsche von den Augen abzulesen. Solch ein Lebensstil forderte natürlich Neid und Missgunst heraus. Der Schriftsteller Christopher Isherwood, der von 1929 bis 1933 in Berlin lebte, beschrieb in seinem Roman „Leb'' wohl Berlin" (später als „Cabaret" verfilmt), wie man hier seine Häuser von einem „bissigen Köter" bewachen ließ gegen „Einbruch und Umsturz". Sein Fazit war nicht sehr freundlich: „Der Stadtteil ist ein regelrechter Slum für Millionäre.“ Es muss aber nicht nur von außen schauen und träumen, wer heute durchs vornehme Grunewald spaziert. In der Douglasstraße 7-9 bietet sich die Gelegenheit, eines der prächtigen Gebäude mal von innen zu sehen: die Villa Harteneck, in der heute ein elegantes Inneneinrichtungsgeschäft residiert. Auch der schöne Garten ist zugänglich. Die Stadt hat ihn in den 70er Jahren aufgekauft und originalgetreu rekonstruiert. Sogar die alte Rosensorte „Gruß aus Teplitz" blüht noch und verströmt den Duft der Gründerzeit. Grunewald ist aber nicht nur Wohnviertel, sondern auch grüner Wald. Wer möchte, sollte vom S-Bahnhof aus den Spaziergang noch verlängern und den Schildhornweg nehmen. Vorbei am Teufelssee und dem ältesten Wasserwerk Berlins führt er zum „Selbstmörderfriedhof" – einem der romantischsten der Stadt. Als Selbstmord noch als Verbrechen galt, griffen Angehörige des Nachts selbst zum Spaten, um ihre Toten heimlich zu begraben. Hier erinnert ein Grabstein auch an Christa Päffgen, die in den 50er Jahren Top-Model des Modeschöpfers Heinz Oestergaard war, bevor sie nach New York ging und als „Nico" mit der Band „The Velvet Underground" ein Star wurde. Und wer nach all dem Reichtum nun wieder auf den Boden kommen möchte, beschließt den Tag zünftig: im Gasthaus am Schildhorn (freitags ab 17 Uhr, Wochenende ab 12 Uhr geöffnet). Unsere Touren finden Sie jedes Mal auch im Internet. Schauen Sie rein unter www.tagesspiegel.de/stadtspaziergang. Dort können Sie auch an einem Gewinnspiel teilnehmen.

Carl-Peter Steinmann

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