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Kulturvolk. Auch Affen sollen über kulturellen Errungenschaften verfügen.

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Homepage: Wir Affenmenschen

Am Potsdamer Einstein Forum hat Prof. Volker Sommer die evolutionäre Anthropologie radikal weiter gedacht

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Erst seit kurzem demonstriert die Genetik, dass das Erbmaterial von Menschen und Schimpansen bis zu 99,4 Prozent übereinstimmt. Angesichts dieses mathematischen Arguments gerät das abendländische Menschenbild erneut stark ins Wanken. Eine besonders radikale Position bei der Neubewertung des sogenannten homo sapiens nimmt der Anthropologe und Primatologe Volker Sommer ein. Der Affenforscher und engagierte Naturschützer vertritt die Sache der „Evolutionären Anthropologie“, eine Weiterentwicklung von Darwins Evolutionstheorie, die gegenwärtig viel Zulauf hat.

Mit Aussprüchen wie „Ich bin ein Affenmensch“ oder „Ich bin gerne ein Tier“, zahlreichen Publikationen und Auftritten erregt der Deutsche, der am University College in London lehrt, viel Aufmerksamkeit. Groß war das Interesse auch im Potsdamer Einstein Forum. Schließlich fordert Volker Sommer jahrtausendealte Menschheitskonzepte heraus. Sowohl die jüdisch-christliche Tradition als auch die abendländische Philosophie haben immer wieder eine Sonderstellung des Menschen beschrieben, die ihn von allen anderen Lebewesen insbesondere von den Tieren, unterscheidet. Als Argumente dienten Begriffe wie Schöpfungskraft, Vernunft, Freiheit, Sprache, Bewusstsein, Kultur im weitesten Sinne. Ethische und moralische Diskurse, wie beispielsweise über Menschenwürde, schlossen sich an diese Identitätsdebatten an. Selbst die traditionelle Evolutionstheorie stellte in ihren Stammbäumen der Entwicklungsgeschichte den Menschen ganz selbstverständlich in die oberste Reihe, als Krone der Schöpfung eben.

Dagegen fordert Volker Sommer, dass die Geisteswissenschaften endlich einmal die Erkenntnisse der Naturwissenschaften zur Kenntnis nehmen sollten. Menschen seien nichts weiter als eine besondere Tierart, eben Affenmenschen. Ins Feld führt er keine mathematischen Formeln, sondern eines der schwerwiegendsten Argumente, das der Kultur. Insbesondere seit der Aufklärung gelten Zivilisation und Kultur als Antipoden zur wilden und barbarischen Natur. Auch Rousseaus sentimentaler Widerspruch „Zurück zur Natur“ hatte da zunächst, außer auf ein paar Literaten, keinen größeren Einfluss.

Volker Sommer will nun nichts Geringeres als die alten Gegensätze aufheben. Mit Videoclips aus der freien Natur führt er vor, welche kulturellen Errungenschaften und Verhaltensweisen bei Affen vorhanden sind. Da sieht man, wie Affen Werkzeuge benutzen, um Ameisen und Termiten zu erhaschen. Nicht nur Werkzeuge und Techniken unterscheiden sich, – er differenziert zwischen dem „einhändigen Ablecken“ und dem „zweihändigen Durchziehen“ –, sondern auch die Essgewohnheiten. In manchen Gegenden werden nur Termiten gegessen, in anderen Ameisen. Als mögliche Ursache und Funktion dieses Verhaltens nennt Sommer sozialpsychologische Konzepte wie das der „sozialen Identität“.

Selbst kundige Vertreter der Naturmedizin und Selbstmedikation hat Sommer schon bei Schimpansen beobachtet. Bei Durchfallkrankheiten verwenden sie bestimmte Blättersorten zur Heilung. Sommers launig kommentierte Filmchen belustigen das Publikum. Worauf er hinaus will, ist klar. Aus der menschenzentrierten Anthropologie müsse eine Panthropologie werden, die sich auf alle Lebewesen richtet. Ganz konkret fordert Sommer eine „Gemeinschaft der Gleichen“ zwischen Menschen und Affen und ein weltweites Ende der Tierversuche an Primaten.

Bei diesen ethischen Forderungen konnten ihm alle Zuhörer zustimmen. Leise Zweifel an Sommers Argumentation bewegten aber doch einige. Einer führte die Ethik an, das Verzeihen, so wie es in Mozarts Zauberflöte als vollendete Menschlichkeit beschrieben wird. Ein anderer erwähnte Platons Höhlengleichnis mit der zentralen Idee des Aufstiegs zum Guten. Und ein dritter Kritiker erinnerte an die menschlichen Fähigkeiten zu komplexer Kommunikation und Selbstreflexivität. All diese Einwände beantwortete Volker Sommer sehr relativierend, zog sich mit Heraklit auf die Prozesshaftigkeit der Welt zurück und bekannte:„Ich bin Pragmatiker“ und als solcher jemand, der willkürliche und egozentrische Grenzen ziehe. Ein guter Wissenschaftler würde seine Meinung eben auch mal ändern. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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