zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Wir bargen acht Tote aus dem Keller

Harry Wonneberger war als 16-jähriger Jugendfeuerwehrmann in der Bombennacht im Einsatz

Stand:

Harry Wonneberger war als 16-jähriger Jugendfeuerwehrmann in der Bombennacht im Einsatz Kurz vor Kriegsende, am 14. April 1945, wurde Potsdam Ziel eines verheerenden britischen Luftangriffes. Aus Anlass des 60. Jahrestages des Bombardierung schildern sechs Zeitzeugen in einer PNN-Serie, wie sie die Nacht des 14.April er- und überlebt haben. Heute: Harry Wonneberger. Jetzt als Rentner im Zentrum-Ost wohnend, ist er vielen Potsdamern bekannt. Von 1967 bis 1991 führte er mit seiner Frau Ursula in der Brandenburger Straße eine Zoohandlung. Als 16-jähriger Jugendfeuerwehrmann führte er einen aussichtslosen Kampf gegen die Flammen der nach dem Angriff brennenden Stadt. Am Abend des 14. April 1945 saß ich, damals 16 Jahre alt, vor meinem Detektorradio in der elterlichen Wohnung in der Babelsberger Lutherstraße. Mit Sorgen hörte ich die Luftlagemeldungen über den Anflug von Bomberverbänden aus dem Raum Hannover-Braunschweig. Bisher hatten die Bomber ihre tödliche Last fast immer über Berlin abgeworfen. Diesmal wusste ich intuitiv: Heute ist Potsdam dran. Dieses Gefühl hatten an jenem Abend auch zahlreiche andere Bewohner der Stadt. Um 22.30 Uhr war dann Vollalarm für die neunköpfige Gruppe der Hitlerjugendfeuerwehr, der ich angehörte. Schnell brachte ich Mutter und Schwester in den Luftschutzkeller, dann rannte ich zum Treffpunkt. Kaum war die Sirene verklungen, wurden durch die „Christbäume“ genannten Leuchtmarkierungen die Straßen plötzlich taghell. Ein ohrenbetäubendes Krachen setzte ein, ohne Pause detonierte Bombe auf Bombe. Erste Station unseres Löschzuges wurde die Karl-Gruhl-Straße, wo eine Luftmine ein Haus getroffen hatte. Zu löschen gab es nichts mehr, wir bargen acht Tote aus dem Keller, darunter einen Mann mit abgequetschten Beinen. Von vorangegangenen Einsätzen in Berlin kannte ich ähnliche Bilder, doch die wurden in dieser Nacht in den Schatten gestellt. Zum ersten Mal sah ich grässlich verkohlte Leichen. Über die durch Bombentrichter nur schwer passierbare Babelsberger Straße fuhren wir auf die Innenstadt zu. In nur 20 Minuten hatten die englischen Flieger 1750 Tonnen Bomben auf die Stadt geworfen. Mir schien, als ob das Bombardement unvermindert fortgesetzt würde. Doch die Detonationen kamen vom Hauptbahnhof, dem offiziellen Hauptziel des Angriffs, wo ein Munitionszug getroffen worden war. Die 500 am Bombardement beteiligten Flugzeuge hatten bereits abgedreht. Ohne Atemschutzmasken kämpften wir15- bis 16-jährigen Jungen uns durch Rauch und Brand in die gespenstisch menschenleere Schlossstraße vor, dann zum Alten Markt. Löschwasser pumpten wir aus der Havel, aber wo sollten wir anfangen? Es brannte ja überall. Ohne Essen und Trinken, wer sollte uns auch versorgen, führten wir unseren aussichtslosen Kampf bis gegen 18 Uhr des Folgetages weiter. Dann machte ich mich völlig erschöpft auf den Rückweg. In den Splittergräben nahe dem Leipziger Dreieck saßen ganz friedlich äußerlich unversehrte Menschen. Der Luftdruck der Explosionen hatte sie getötet. In der elterlichen Wohnung ein neuer Schock. Die Druckwelle einer an der Friedrichskirche niedergegangenen Mine hatte das Dach weggerissen. Mit Mutter und Schwester brachte ich die verbliebenen Habseligkeiten in die uns zugewiesene Ersatzwohnung in der heutigen Karl-Liebknecht-Straße. Viel mehr konnte ich nicht tun, denn wenig später wurde ich als Soldat eingezogen. Krieg und Bombenangriff haben mein Leben verändert. Statt meine Lehre bei Orenstein & Koppel abzuschließen, musste ich für die Russen Schienen demontieren, für täglich einen Teller Suppe und ein Stück Brot. Die restliche Zeit ging bei Hamsterfahrten drauf, um für Mutter und Schwester etwas Essbares zu besorgen. Später wechselte ich ins Ruhrgebiet,wo ich als Bauarbeiter unter anderem an der Errichtung des Fußballstadions in Duisburg beteiligt war. 1960 kehrte ich in meine Heimatstadt zurück und fand Anstellungen als Bühnenarbeiter und Plattenwerker. 1967 konnte ich mit meiner Frau Ursula die private Zoohandlung in der damaligen Klement-Gottwald-Straße übernehmen. Leider mussten wir 1991 angesichts der drastisch angestiegenen Mieten aufgeben. Heute noch erscheinen mir im Traum die schrecklichen Bilder der Bombennacht. Immer, wenn der Abend des 14. April heranrückt, werde ich unruhig – auch nach so vielen Jahren! Ständig blicke ich auf die Uhr und sage zu meiner Frau: Jetzt ist es 22.05 Uhr, jetzt ist es 22.10 ... Sie weiß, worum es mir geht. aufgeschrieben von Erhart Hohenstein

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })