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Homepage: „Wir brauchen Hartz IV“

Prof. Werner Jann über Sinn und Fortgang der Arbeitsmarktreformen

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Prof. Werner Jann über Sinn und Fortgang der Arbeitsmarktreformen Unlängst hat auch die Bundesanstalt für Arbeit (BA) ihre Zweifel an der letzten Stufe der Arbeitsmarktreformen (Hartz IV) angemeldet. Stehen Sie noch zu dem Projekt, an dessen Entstehung Sie beteiligt waren? Selbstverständlich stehe ich noch dazu. Der absurde Ausgangspunkt ist doch, dass alle Beteiligten ausnahmslos darüber einig sind, dass das alte System von Arbeitslosenhilfe bei der BA und Sozialhilfe bei den Kommunen – mit allen möglichen bürokratischen Verwicklungen, Ungerechtigkeiten und Verschiebebahnhöfen – abgeschafft gehört, und dass wir eine einheitliche Lösung brauchen. Gleichzeitig gibt es aber absolut keine Einigkeit, wie diese neue Lösung auszugestalten und zu finanzieren ist, weil alle möglichen beteiligten Institutionen dabei noch Geld verdienen wollen! Auf die Kommunen kommen weitere 2,4 Milliarden Euro Belastung zu, statt der versprochenen Entlastung. Muss nachgebessert werden? Ich kann diese Zahlen nicht nachprüfen, aber ich bin es leid, dass insbesondere die Kreise und Kommunen offenbar vor allem am Geld interessiert sind und sich immer wieder „arm rechnen“. Der Sinn der Hartz-Vorschläge war nicht, dass die Kommunen entlastet werden und die Kämmerer mehr Geld in den Taschen haben, sondern dass den Arbeitslosen sinnvoller und besser geholfen werden kann. Bundeskanzler Schröder hat den Kommunen nun offenbar Geld zum Ausgleich in Aussicht gestellt, kommt am Ende überhaupt ein Plus bei Hartz heraus? Was soll denn hier „Plus“ heißen? Das Plus bei den Hartz-Reformen soll doch sein, dass mehr Arbeitslose viel schneller Arbeit finden. Es regt mich wirklich auf, dass alle so tun, als Ginge es bei Hartz IV darum, dass irgendwo im öffentlichen Sektor mehr Geld übrig bleibt. Die Mehrkosten entstehen hauptsächlich durch Unterbringungskosten für Langzeitarbeitslose. Sollen die Kommunen so motiviert werden, Langzeitarbeitslose schneller wieder in Arbeit zu bringen? Wie hoch die Mehrkosten wirklich sind, ist äußerst umstritten und wohl auch nicht ganz einfach zu berechnen. Aber es ist vollkommen richtig, dass die Kommunen natürlich Anreize brauchen, sich um Langzeitarbeitslose zu kümmern. Das ist ja das große Problem bei den Vorschlägen der CDU. Es kann natürlich nicht angehen, dass die Kommunen für die Langzeitarbeitslosen zuständig werden, und der Bund alle Kosten übernimmt. Das wäre ja ein Blankoscheck für die Kommunen. Es gibt den Vorwurf, die neu gegründeten Personal-Service-Agenturen (PSA) würden ausgebildete Arbeitslose zu beruflichem Abstieg zwingen, anstatt sie besser zu qualifizieren. Es gibt alle möglichen Vorwürfe, und auch hier bin ich es gründlich leid, dass alle möglichen „Experten“ immer schon vorher wissen, dass und warum eine neue Idee nicht funktionieren wird. Die Umsetzung der PSA ist offenbar schwieriger, als man sich das in der Hartz-Kommission vorgestellt hat, aber ehrlich gesagt habe ich nie geglaubt, dass es irgendwelche ganz einfachen Instrumente gibt, die in wenigen Monaten Probleme aus der Welt schaffen, die uns seit Jahrzehnten drücken. Die PSA sind dazu da, Arbeitslose in Arbeit zu bringen, vor allem Langzeitarbeitslose, und gleichzeitig für kleine Unternehmen schnell und einfach Personalengpässe zu beseitigen. Dabei können sie auch qualifizieren, aber das ist nicht ihr zentrales Ziel. Ist es nicht so, dass der Großteil der Arbeitnehmer nicht so flexibel ist, wie sich das die Reformer wünschen. Kaum jemand will im Jahresrhythmus Job und Wohnort wechseln, schon gar nicht, wenn die Arbeit schlecht bezahlt ist. Kein Mensch soll im Jahresrhythmus Job und Wohnort wechseln, das ist keineswegs die Vorstellung der Reformer. Aber dass unser Arbeitsmarkt verkrustet ist, sehen doch auch die Gewerkschaften. Es muss uns doch zu denken geben, wenn rund um Deutschland, in Dänemark, den Niederlanden, Großbritannien die Arbeitslosigkeit seit Jahren um und unter 5 Prozent liegt! Das hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass es dort einen viel flexibleren Arbeitsmarkt als bei uns gibt. Sind der Bevölkerung überhaupt noch weitere Reformen zu vermitteln? Man kann natürlich die Augen verschließen und so tun, als sei alles in Ordnung oder würde irgendwie automatisch wieder in Ordnung kommen, wenn man bloß die Wirklichkeit lange genug ignoriert. Gerade in der DDR hat man damit ja ausführliche Erfahrungen gemacht. Jedem, der in der DDR in den achtziger Jahren die Augen aufgemacht hat war klar, dass dieses Land wirtschaftlich auf dem Weg in den Ruin war: altertümliche Maschinen, verrottete Gebäude, verkommene Infrastruktur. Aber man hat die wirtschaftlichen Probleme einfach ignoriert, bis der Laden dann wirklich zusammengebrochen ist. Will man das jetzt noch mal versuchen? Renten- und Sozialreformen sind vor allem nötig, weil die Einzahler in das System weniger werden. Die Regierung hat nun das Erziehungsgeld beschnitten und Kinderfreibeträge gekappt, um Mittel für Kinderbetreuung wird gestritten. Bewirkt das nicht einen weiteren Geburtenknick? Tatsächlich hat die Bundesregierung Familien mit Kinder durch die Steuerreform entlastet, aber eine auf permanentes Jammern eingestellte Öffentlichkeit will das nicht zur Kenntnis nehmen. Insgesamt glaube ich nicht, dass Kinder deswegen gezeugt werden, weil das Kindergeld um ein paar Euro rauf oder runter geht. Das ist eine absurde Diskussion. Kinder werden geboren, wenn eine Gesellschaft optimistisch in die Zukunft schaut – die uns so oft als abschreckendes Beispiel vorgehaltenen USA sind ja ein gutes Beispiel. Und genau dies ist eben in Deutschland nicht der Fall. Wir kultivieren derzeit gelegentlich eine Orgie des Selbstmitleids. Bisher sind noch keine Erfolge der Hartz-Reformen sichtbar. Wie lange braucht das Reformwerk, um erste Blüten zu treiben? Die Hartz-Reformen waren nie für das nächste halbe Jahr angelegt, sondern sollen unseren Arbeitsmarkt auf Dauer zukunftssicher machen. Das hat auch in Dänemark fast zehn Jahre gedauert. Aber die ersten Blüten sollten wir sehen, wenn das kleine Wirtschaftswachstum, das wir für dieses Jahr erwarten können, viel schneller in Arbeitsplätze umgesetzt wird, als dies bisher der Fall war. Die Fragen stellte Jan Kixmüller.

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