Potsdam-Trainer Bernd Schröder: "Wir brauchen Persönlichkeiten, keine Barbie-Puppen"
Seit 40 Jahren trainiert Bernd Schröder Deutschlands bestes Frauenfußball-Team Turbine Potsdam. Im Interview mit unseren Kollegen von Zeit-Online (www.zeit.de) beklagt er die Kommerzialisierung und warnt vor überzogenen WM-Erwartungen.
Stand:
ZEIT ONLINE: Herr Schröder, Silvia Neid bereitet ihr Team seit April auf die WM vor. Dafür wurde extra die Saison verkürzt. Von solchen Bedingungen kann Jogi Löw nur träumen.
Bernd Schröder: Ja, Frau Neid sagt, die Qualität ist so schlecht. Das klingt, als sei sie als Einzige in der Lage, die Mädels zu trainieren. Das ist in gewisser Form eine Misstrauensbekundung gegenüber den Trainern der Bundesliga. Wir in Potsdam haben hier, was zum Beispiel die Athletik angeht, die besten Werte.
ZEIT ONLINE: Wie kommt es dann, dass vom aktuellen deutschen Meister nur drei Spielerinnen bei der WM dabei sind?
Schröder: Es ist gerecht, dass nur drei Spieler dabei sind, weil wir als Mannschaft fungieren. Wir wissen auch, dass Frankfurt die besseren Einzelspieler hat, die besser in das DFB-System passen. Und wir wissen, dass Silvia Neid bestimmten Leuten zum Abschluss der Karriere nochmal die Möglichkeit geben möchte, sich bei der WM im eigenen Land zu präsentieren.
ZEIT ONLINE: Freuen Sie sich auf den WM-Sommer?
Schröder: Wir müssen realistisch und vorsichtig sein. Sie wissen ja: Heute "Hosianna!", morgen "Kreuzigt sie!". Wenn wir kein vernünftiges Bild abgeben, werden wieder viele Leute aus ihren Löchern gekrochen kommen. Auch Journalisten. Ich habe sogar im Vorfeld schon Artikel gelesen, bei denen ich gesagt habe: Das kann nicht sein!
ZEIT ONLINE: Welche Artikel?
Schröder: (kramt in seiner Mappe) Der da zum Beispiel: "Diese Pässe, diese Schüsschen."
ZEIT ONLINE: Von Harald Martenstein, dem Kolumnisten der ZEIT. Die WM ist doch die Chance, solche Vorurteile abzubauen?
Schröder: Ja, aber der Frauenfußball wird zu selten sachlich beurteilt. Er wird zum Event und produziert Pseudostars. Wir aber brauchen Persönlichkeiten, keine Barbie-Puppen. Im Männerfußball haben wir schon das Maß verloren. Schauen Sie sich die Millionen Euro Schulden an. Da haben wir eine Situation, die wir nicht haben wollen. Der Frauenfußball muss sich in seiner Art vom kommerzialisierten Männerfußball unterscheiden.
ZEIT ONLINE: Was meinen Sie damit?
Schröder: Man muss sich immer fragen: Welches Motiv haben bestimmte Leute, wenn sie über Vollprofitum im Frauenfußball reden? Sie wollen damit Geld verdienen.
ZEIT ONLINE: Wäre das Niveau im Frauenfußball nicht höher, wenn es mehr Profis gäbe?
Schröder: Das ist hypothetisch. Wer gibt mir die Garantie, dass ein Vollprofi eine höhere Leistung bringt? Im Männerfußball wird mit Visualtrainern gearbeitet oder Leuten, die Life-Kinetik anbieten, um das Gehirn zu schulen. Da sollen die Spieler Slalom laufen und dabei europäische Hauptstädte aufsagen. Warum? Weil ein Spieler, der früh um zehn trainiert, dann bis 14 Uhr auf sein Bankkonto guckt und dann wieder trainiert, sonst verdummen würde.
ZEIT ONLINE: Die Merchandising-Maschine des DFB läuft anlässlich der WM dennoch.
Schröder: Merchandising allein rettet den Frauenfußball nicht. Wenn ich einen Fußballer aufs Podium hebe, dann ist das zwar gut und schön, aber man muss immer die Frage stellen: Wem dient das? Und was passiert, wenn er vom Podium wieder runterkommt?
ZEIT ONLINE: Sie glauben, dass das Geld, das in den Frauenfußball fließt, am Ende nicht dem Sport zugute kommt?
Schröder: Natürlich bringt Geld einen Sport voran, aber je mehr es zu verteilen gibt, umso mehr Leute wollen die Hand aufhalten. Ich vermute, dass viele, die sich jetzt auf den Zug des Frauenfußballs aufschwingen, diese Sportart sehr oberflächlich betrachten. Wenn jemand wie ich 40 Jahre im Frauenfußball ist, dann kann er entweder verkalkt sein oder das Gefühl haben, die Tendenzen zu erkennen.
ZEIT ONLINE: Haben Sie Angst, dass Ihnen andere Leute Ihren Sport wegnehmen?
Schröder: Ich habe nur Angst, dass sich die Stimmung umdrehen könnte. Ich sage Ihnen: Wenn ich Sie erwische, wie Sie sich nach einer vielleicht enttäuschenden WM über den Frauenfußball lustig machen, dann sind Sie für mich gestorben. Auch wenn Sie das vielleicht nicht interessiert.
ZEIT ONLINE: Müssten Sie nicht bestrebt sein, dass Ihr Sport vorangetrieben wird? Wir prophezeien Ihnen im Herbst viel, viel mehr Mädchen vor Ihrer Tür, die Fußball spielen wollen, als vor der WM. So ähnlich war es zumindest bei der Handball-WM 2007.
Schröder: Denken Sie? Aber wir sind doch schon gut aufgestellt. Turbine ist Schulweltmeister geworden. Und sie müssen den Leuten nicht ständig erzählen, wie gut der Frauenfußball ist. Sie werden es doch selbst erkennen.
ZEIT ONLINE: Manchmal muss man die Leute ein bisschen schubsen.
Schröder: Sie müssen doch realistisch sein. Wir haben ein festes Publikum. Vom Männerfußball kommt niemand zu uns, warum sollte er auch? Ich würde natürlich auch gerne sehen, dass wir groß rauskommen. Aber ich bin auch da, wenn es schlecht läuft.
ZEIT ONLINE: Wie verkraftet es eigentlich Anja Mittag, Weltmeisterin von 2007, dass sie nicht dabei ist?
Schröder: Es ist nicht meine Aufgabe, sie zu trösten. Ich bin nicht der Typ, der ihr auf die Schulter klopft und weint und sagt, die anderen sind ja viel schlechter. Jeder Einzelsportler muss eine Norm erfüllen. Wenn Anja Mittag wieder mitgefahren wäre, hätte sie wohl auf der Bank gesessen, tolle Sache, Weltmeister, 60.000 Euro. Und nun erzählen Sie mir: Wie hilft es ihr weiter?
ZEIT ONLINE: Aber gibt es nicht auch sensible Sportler, die so etwas aus der Bahn wirft? Der eine muss gestreichelt werden, der andere getreten.
Schröder: In einer Mannschaftssportart sollte man beides lassen. Die Spieler beobachten doch ganz genau, wer anders behandelt wird, in jeder Hinsicht. Sie können doch sensible Spieler nicht die ganze Zeit bemuttern. Das ist doch nicht das Leben.
ZEIT ONLINE: Die derzeit vielleicht besten deutschen Spielerinnen, Lira Bajramaj und Kim Kulig, wechseln nach Frankfurt, wohl vor allem, weil sie mehr verdienen können. Haben Sie Angst, dass der FFC in der nächsten Saison übermächtig werden könnte?
Schröder: Nein. Wir werden eine gute Mannschaft haben, die vielleicht sogar stärker ist als die jetzige. Wenn Leute den Verein wechseln, wenn ihr Vertrag ausläuft, ist das in Ordnung. Aber wir hätten das Gehalt von Lira Bajramaj auch zahlen können. Wir wollten es nicht, weil wir sonst unsere eigene Philosophie ein Stück weit kaputtgemacht hätten.
ZEIT ONLINE: Sie sind also nicht neidisch auf die finanziellen Möglichkeiten des FFC?
Schröder: Sie glauben doch nicht etwa, dass wir uns kein warmes Essen leisten können? Wir sind in den gleichen Dimensionen wie Frankfurt, bei uns hängt nur viel mehr dran. Eine zweite Mannschaft, ein Riesennachwuchsbereich.
ZEIT ONLINE: Sie kommen übers Kollektiv. Klingt simpel.
Schröder: Ich kenne meine Spielerinnen, die Familien, die sozialen Strukturen, wie sie ticken. Man muss auch wissen, wann jemand reinpasst und wann nicht. Lira Bajramaj hat bei uns anderthalb Jahre glänzend reingepasst. Sie hätte sich woanders nie so entwickelt. Bei uns wurde sie zum Gesicht des deutschen Frauenfußballs. Aber wenn sie bei uns geblieben wäre, hätte sie sich nicht weiterentwickelt. Sie ist ein liebes, nettes Mädchen, die auch in dieses Barbie-Ding reinpasst. Dass sie alles nutzt, um groß rauszukommen, ist mir völlig klar.
ZEIT ONLINE: Was würden Sie ihr mit auf den Weg geben?
Schröder: Ich habe ihr gesagt: Mädel, ich wünsche Dir alles Gute, aber sei ehrlich zu Dir selbst. Bei bestimmten Entscheidungen ist Lira leider ein bisschen fremdgesteuert. Was ja nicht negativ sein muss.
ZEIT ONLINE: Sie hat vor Kurzem eine Pressemitteilung herausgegeben, in der sie sagt, dass sie nicht fremdbestimmt ist.
Schröder: Alleine so etwas rauszugeben, ist für mich schon ein Zeichen. Ich bin ein Christ: Dieser Berater ist ein Pharisäer. Das Schlimme ist ja, dass sich diese Leute die "schwachen Frauen" suchen, die sich schnell führen lassen.
ZEIT ONLINE: Was wünschen Sie sich? Sollten wir alle etwas zurückhaltender sein, was die WM betrifft?
Schröder: Wir dürfen diese WM nicht mit der der Männer vergleichen. Ich möchte eines verhindern und deshalb rede ich überhaupt drüber: Dass hinterher Leute zu mir kommen und mir erzählen, was alles falsch gemacht wurde.
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