
© A. Klaer
Von Martin Gätke: „Wir lassen uns nicht einschüchtern“
Antifa-Demonstration am Samstag verlief störfrei / Neonazis beschmierten Fachhochschulgebäude
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Fünf Jahre ist es her, als er mit einem Freund nachts durch Potsdams Innenstadt lief und urplötzlich von etwa zwanzig Neonazis angegriffen wurde. Tamas Blenessy, einen bekannten Linken aus Potsam, hatten sie sofort erkannt. In einer Straßenbahn fuhren sie an ihm vorbei, sahen ihn und zogen die Notbremse. Was anschließend geschah, brachte die beiden Studenten ins Krankenhaus und sechs der rechtsextremen Täter ins Gefängnis.
Rund fünf Jahre später war Tamas Blenessy am vergangenen Samstag einer von mehr als 300 Demonstranten, die durch die Landeshauptstadt zogen – vom Hauptbahnhof über Zentrum-Ost und den Schlaatz bis nach Waldstadt. Begleitet von starkem Regen, einem Lautsprecherwagen und 120 Polizeikräften beschallten die Teilnehmer, darunter auch Antifa-Aktivisten aus Berlin und Magdeburg, Potsdams Straßen und Wohnsiedlungen. Unterwegs hielt die „Wake Up! – Offensiv gegen rechte Gedanken und Strukturen“ getaufte Demonstration an mehreren Plätzen an, Kundgebungen fanden statt. Sprecher erinnerten dabei an frühere rechtsextreme Übergriffe in Potsdam wie den „Tram-Überfall“ oder die Brandanschläge auf den Integrationsgarten am Schlaatz.
Gleichzeitig warnten die Demonstranten davor, dass sich seit 2005, als es zu vielen rechtsextremen Übergriffen in Potsdam kam, eine neue Generation von Neonazis in Potsdam zusammengefunden, organisiert und etabliert hätte. Als Beleg führten Sprecher mehrere Vorfälle im Vorfeld der „Wake up“-Demonstration auf. So seien Anfang September am Schlaatz Kreideschmierereien mit rechtem und antisemitischem Hintergrund aufgetaucht, unter anderem Hakenkreuze, durchgestrichene Davidsterne und Schriftzüge wie „Good night left side“. Dies könne als Reaktion der Potsdamer Neonazi-Szene auf die schon damals angemeldete Demonstration verstanden werden. „Dass es Schmierereien in Potsdam gibt, ist zwar beunruhigend – aber natürlich nicht neu. In diesem Fall zeigt es einmal mehr die Aktionsfreude und schnelle Reaktionsfähigkeit der hiesigen Neonaziszene“, sagte Johannes Schweigmann, Sprecher der „Antifaschistischen Linken Potsdam“. Zudem berichteten Redner bei der Demonstration, noch vergangene Woche habe es Einschüchterungsversuche gegen vermeintlich linke Jugendliche in den Stadtteilen Schlaatz und Waldstadt gegeben. Neben Neonazi-Aufklebern seien auch direkte Bedrohungen an die Haustüren der Betroffenen geschrieben worden: „Wir machen Hausbesuche.“
Auch in diversen Stellungnahmen auf Internetseiten der Potsdamer Neonazis im Vorfeld der Demo vom Samstag wurde hingewiesen. Die rechtsextreme „Alternative Jugend Potsdam“ (AJP) rühmte sich auf ihrer Online-Präsenz, zahlreiche Plakate für die Demo entfernt zu haben. Und nicht nur das: In der Nacht zum Samstag vor der Demo hätten „ mutige Nationale Sozialisten“ zudem die Fassade der Potsdamer Fachhochschule am Alten Markt mit der Botschaft „NS jetzt!“ versehen, heißt es auf der AJP-Seite. Bei der Polizei hieß es dazu, ein Wachschutzunternehmen habe eine „Vielzahl von Graffitis“ bemerkt. Bei den Schmierereien handele es sich um „mehrere unleserliche Schriftzüge in verschiedenen Farben sowie zwei großflächige Schriftzüge“. Eine Anzeige wegen Sachbeschädigung sei aufgenommen.
Doch blieben die Aktionen der Neonazis im Vorfeld nur Drohgebärden. Denn während der gesamten Demonstration kam es zu keinerlei Störungen, so die Polizei. „Wir lassen uns nicht einschüchtern“, sagten mehrere Teilnehmer. Und: Man müsse sich den Rechtsextremisten in den Weg stellen.
Eine steigende Aktivität der Potsdamer Neonazi-Szene konstatiert inzwischen auch der brandenburgische Verfassungsschutz. „In der Region Potsdam sind zwei Neonazi-Gruppierungen aktiv: Für beide gilt, dass ihre Internet-Aktivitäten zunehmen“, heißt es in einer aktuellen Mitteilung der Sicherheitsbehörde gegenüber den PNN. Zugleich sei hinsichtlich des Gewaltpotenzials der Szene „kein Rückgang“ festzustellen. Dazu zählt die Behörde momentan sechs Potsdamer Bands mit eindeutig rechtsextremen Hintergrund. Doch habe das rechte Lager auch mit Spannungen in den eigenen Reihen zu kämpfen. Als Beispiel für diesen Konflikt sieht der Verfassungsschutz den Potsdamer NPD-Stadtverordneten Marcel Guse: Durch eine immer stärkere „Nazifizierung“ des NPD-Stadt- und Kreisverbandes versuche dieser zunehmend, auch „Freie Kräfte“ anzusprechen, also mitunter gewaltbereite Neonazis ohne Parteibindung. Doch der von Guse in Texten verwendete „NS-Duktus“ schrecke immer mehr ab, etwa DVU-nahe Kreise, so der Verfassungsschutz: „Angesichts des aktuellen Versuches der NPD, sich die DVU-Reste einzuverleiben, dürfte solcher Aktionismus die Landes- und Bundes-NPD zunehmend mit der Frage konfrontieren, ob sie sich endgültig in die Neonazi-Ecke begeben will.“(mit HK)
Martin Gätke
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