
© Andreas Klaer
ARBEITSKREIS ALTERNATIVE JUGENDKULTUR POTSDAM: „Wir müssen einen Ort in der Innenstadt haben“ Ein junges Gremium
Den Politikern immer wieder auf die Füße treten: Ein Gespräch mit Benjamin Bauer und Patrick Hinz von der AJKP
Stand:
Warum braucht die Potsdamer Jugend ausgerechnet ein Zentrum in der Innenstadt?
Benjamin Bauer: Wir brauchen Freiräume, um uns selbstbestimmt verwirklichen zu können. Polierte Kultur fördert nicht die Kreativität. Man sollte den Jugendlichen wieder die Möglichkeit geben, sich selbst etwas zu organisieren und kreativ zu sein. Dazu gehört, dass sie in der Innenstadt präsent sind.
Was heißt in diesem Zusammenhang kreativ?
Benjamin Bauer: Dass sich Jugendliche eigene Lösungsmöglichkeiten für Probleme ausdenken, wie beispielsweise die Suche nach Freiräumen zurzeit. Außerdem haben wir kaum eine Lobby, uns Gehör zu verschaffen. Und so müssen wir auch unkonventionelle Wege gehen, um unsere Interessen zu vertreten. Manch ein Stadtverordneter hat Probleme mit neuen Vorschlägen, da müssen wir immer wieder kreativ auf ihn eingehen, solange, bis er es versteht. Dabei suchen wir auch verschiedene Protestformen.
Wir sprechen von Kultur, ihr jetzt von Protestformen. Das ist schwer nachzuvollziehen. Ein konservativer Potsdamer denkt bei dieser Form von Jugendkultur, dass ihr nur irgendwo in Ruhe Krach machen und Wände beschmieren wollt. Ist das die Form von Freiräumen, die ihr euch wünscht?
Patrick Hinz: Nicht Wände beschmieren, sondern gestalten. Das auch in der Innenstadt. Ich sehe nur, dass hier in der Innenstadt alles saniert und schick gemacht wird für den Tourismus und für etwas Wohlhabendere. Aber die Jugend ist Teil der Potsdamer Bürger – und die müssen auch einen Ort in der Innenstadt haben, an dem sie sich frei entfalten kann. Wir wollen nicht nur an den Rand gedrängt werden.
Aber habt ihr kein Verständnis für die Verwaltung, die jetzt die Innenstadt so schön historisch gestaltet und dann sagt: Die lauten Jugendlichen, die können wir hier nicht gebrauchen, die verschrecken uns nur die Touristen?
Benjamin Bauer: Die Verwaltung muss bedenken, dass wir auch Interessen haben und keine kleine Gruppe sind. Die Touristen, die sich hier alles angucken, kommen einmal. Aber wir müssen hier dauerhaft leben, die Stadt einmal bevölkern. Und deswegen sollte sich die Verwaltung für unsere Interessen auch einsetzen. Sonst gibt es hier irgendwann keine Jugendlichen mehr.
Patrick Hinz: Es ist nicht so, dass wir etwas völlig Neues fordern. Es gab ja schließlich schon den Spartacus in der Innenstadt.
Wäre das Waschhaus eine Alternative?
Benjamin Bauer: Nein, nicht mehr. Durch die Sanierung ist der Charme verloren gegangen. Man hat sich da früher wohlgefühlt, weil es eben ein bisschen runtergekommen war und man sich ausleben konnte. Da gab es an jeder Ecke ein buntes Bild, da war Atmosphäre. Wenn man sich jetzt die neu verputzten Wände anguckt, da reizt mich nichts mehr. Wenn alles gleich aussieht, da wird das schnell eine sehr eintönige Welt.
Und wie sieht es mit dem Lindenpark aus?
Patrick Hinz: Ich finde nicht gut, dass es dort einen Keller für „kleine“ Bands geben soll. Auch solche Gruppen wollen einmal auf einer großen Bühne stehen. Und ich denke, dass in dem großen Saal jeder auch Spaß bei einem Konzert mit nur hundert Leuten haben kann.
Aber das neue Lindenparkkonzept sieht doch sogar Bandproberäume vor?
Patrick Hinz: Städtische geförderte Bandproberäume gibt es in Potsdam fast keine. Und die Probenräume in den Jugendklubs sind eigentlich keine, weil sich da die Bands einmieten und ihr Equipment mitbringen müssen. Außerdem sind die Räume nicht rund um die Uhr frei zugänglich, gerade in der Nacht.
Benjamin Bauer: Außerdem müssen sie bezahlbar sein. Sonst wird das schnell ein extrem teures Hobby, dass sich nicht jeder leisten kann.
Nun scheint sich mit dem Projekt „Freiland“ in der Friedrich-Engels-Straße, gegenüber dem ehemaligen RAW-Gelände, eine Lösung für ein Jugendzentrum in der Innenstadt abzuzeichnen.
Patrick Hinz: Aber nicht eine Lösung für alles. Gerade Proberäume für Bands kann es in einer Stadt wie Potsdam nicht genug geben. Aber an sich ist das Projekt sehr gut. Wenn es so umgesetzt wird, dass Jugendliche dort selbst kreativ tätig werden können, selbst gestalten, etwa die Außenfassade – dann kann man nur hoffen. Die Stadt hat ja selbst gesagt, dass sie keine anderen Immobilien für so etwas hat. Und Anwohner würden dort auch nicht gestört.
Was genau soll im zukünftigen „Freiland“-Zentrum angeboten werden?
Patrick Hinz: Wenn das so klappt, wie es geplant ist, werden Jugendliche dort viel selbst machen können, etwa die vielen Außenfassaden besprühen. Der Spartacus e.V. und der Jugendklub S13 sollen dort neue Räume erhalten. Damit werden viele unserer Forderungen umgesetzt. Außerdem wird es Proberäume für Bands geben. Wenn die Stadt diese beispielsweise kostenlos dem Träger zur Verfügung stellt, kann dieser durch geringe Mieten damit schon einen Teil der nötigen Einnahmen erwirtschaften.
Benjamin Bauer: Vorstellbar wäre auch ein gemeinsamer Plenarsaal für die Jugendparteien, um dort zusammenzuarbeiten. Dort könnten sie Kooperation lernen. Die Schwierigkeit ist ja gerade, für so etwas überhaupt in Potsdam Räume zu bekommen.
Was bedeutet das „Alternative“ in eurem Namen „Alternative Jugendkultur in Potsdam“?
Patrick Hinz: Das Alternativ steht für Alternativen zu Hochkultur und Mainstream-Pop, also das was die große Masse anspricht.
Benjamin Bauer: Wir haben eben andere Vorstellungen als Fußball, Frauen und Autos. Wir wollen gern etwas anderes ausprobieren.
Für wie viele Jugendliche spricht dann die AJKP in Potsdam?
Patrick Hinz: Im vergangenen November gab es beispielsweise die Demo für mehr Freiräume, bei der 1500 Leute waren. Für die wollen wir sprechen. Im Juni bei der nächsten Demonstration werden es mit Sicherheit genauso viel, wenn nicht sogar 3000. Aber wir werden wohl nie die ganz große Masse der Jugendlichen ansprechen, denn wir wollen nicht diese Mainstream-Kultur.
Also wird es im „Freiland“–Zentrum keine Deutschland-sucht-den-Superstar-Partys geben?
Benjamin Bauer: Mit Sicherheit nicht. Bei uns wird es aber auch keine Flatrate-Partys geben.
Auffällig ist, dass ihr mit der „Alternativen Jugendkultur in Potsdam“ der Stadtpolitik sehr offensiv gegenüber tretet und mit Geduld für eure Ziele kämpft. Das gab es seit Jahren nicht in Potsdam. Woher kommt der Antrieb?
Benjamin Bauer: Das Bild war oft, dass Jugendliche sich lieber ins Koma saufen als selbst aktiv zu werden. Wenn wir hier wirklich in der Stadt etwas verändern wollen, dann müssen wir uns an die demokratischen Wege halten und versuchen, so viel wie möglich zu erreichen.
Patrick Hinz: Außerdem ist es der realistische Weg, um wirklich etwas zu erreichen.
Benjamin Bauer: Und der einzige, auf dem wir etwas schaffen. Aber wenn zum Beispiel Jugendliche sich auf unkonventionelle Art Gehör verschaffen wollen und sofort als „Nazis“ betitelt werden, dann ist das frech.
Ihr sprecht die Unterbrechung der Stadtverordnetenversammlung im November vergangenen Jahres durch protestierende Jugendliche an, die beim Oberbürgermeister wenig Begeisterung auslöste und ihn den Nazivergleich ziehen ließ .
Benjamin Bauer: Wie gesagt: Wir haben kein Mitspracherecht, gehört werden wir nicht. In diesem Prozess, der sich jetzt seit einem Jahr hinzieht, haben wir noch fast keine Ergebnisse auf dem Tisch. Das einzige, bei dem die Stadt wirklich schnell reagiert hat, war jetzt das „Freiland“-Projekt. Darauf sollten sie sich aber nicht ausruhen.
Wie empfindet ihr die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung?
Benjamin Bauer: Wir haben bisher teilweise sehr gut mit der Stadt zusammengearbeitet. Aber zum Teil laufen wir auch noch gegen Wände, weil die Verwaltung auch andere Interessen zu wahren hat. Das eigentliche Problem besteht darin, dass sie nicht aus dem Knick kommen.
Habt ihr manchmal den Eindruck, dass es der Verwaltung auch darum geht, bestimmte Zugeständnisse gar nicht erst zu machen?
Patrick Hinz: Aktuell haben wir das Gefühl, dass die Stadt eine Hinhaltetaktik führt. Die Verwaltung hat uns gesagt: Wir arbeiten mit euch zusammen. Wir haben den Termin eingehalten, zu dem wir unsere Handlungsgrundlagen für die alternative Jugendkultur, den 10-Punkte-Plus-Plan, vorgelegt haben. Und die Stadt hat uns mündlich zugesagt, dass es bis Ende April ein Konzept gibt, was umgesetzt werden kann, was länger dauert und was nicht geht. Da ist aber noch nichts passiert bis auf die kleinteilige Projektförderung, die wir in dieser Form aber auch ganz so nicht wollten.
Sprich die 10 000 Euro für Jugendprojekte, die die Verwaltung ausgereicht hat.
Patrick Hinz: Dabei ist das ist nur ein kleiner Teil unserer Forderungen. Wir hatten 1 Euro für jeden Potsdamer Jugendlichen zwischen 14 und 27 Jahren gefordert, also etwa 24 000 Euro.
Empfindet ihr die 10 000 Euro zumindest nicht auch als ein Signal seitens der Verwaltung?
Benjamin Bauer: Der Wille ist ja da. Nur an der Umsetzung hapert es. Um die Metapher anzuwenden: Wir haben denen das Rezept für einen leckeren Kuchen gegeben, sie wollen uns aber nur Plätzchen anbieten.
Seit einem Jahr kämpft ihr für eure Sache, sagt aber, die Erfolge sind gering. Ist da nicht irgendwann der Punkt erreicht, an dem ihr sagt: Bis hier und nicht weiter, jetzt besetzen wir einfach Häuser.
Patrick Hinz: Das Problem war uns von Anfang an bewusst. Aber wir haben auch von Anfang an klipp und klar gesagt, dass wir nicht hinschmeißen. Es gibt genug solche Gruppen, die nach einem halben Jahr aufgegeben haben. Wenn die Stadt jetzt eine Hinhaltetaktik fährt, dann machen wir eben mit. Wir können warten und ständig Druck machen – und wenn es fünf Jahre dauert.
Benjamin Bauer: Die einzige Möglichkeit ist hartnäckig zu bleiben und den Verantwortlichen so lange auf die Füße zu treten, bis etwas passiert. Wir werden den Teufel tun und jetzt aufgeben. Vielleicht arbeitet ja die neue Kulturbeigeordnete etwas effizienter. Auch an sie werden wir herantreten. Durch unser Internetforum bieten wir auch anderen die Möglichkeit, sich an dem Prozess zu beteiligen. Wenn im Endeffekt nur auf Zahlen geschaut wird, macht das die Kultur kaputt. Sollte die Stadt aber diesen Kurs weiterfahren, ist Potsdam irgendwann tot. Was Touristen dann sehen, ist eine barocke Fassade ohne Inhalt.
Das Gespräch führten Dirk Becker und Henri Kramer
Der Arbeitskreis Alternative Jugendkultur Potsdam (AJKP) existiert seit vergangenem Herbst. Er hat von der Verwaltung den Auftrag erhalten, ein Konzept für die Zukunft der Soziokultur zu erarbeiten – ein für Potsdam bislang einmaliger Vorgang. Auslöser war die „Freiraum“-Diskussion im vergangenen Jahr: Als mehrere Jugendkultur-Häuser wie der Lindenpark oder das Waschhaus vor dem Aus standen und das Spartacus-Jugendhaus geschlossen werden musste, gab es Podiumsdiskussionen, Protestaktionen und eine Demonstration im November mit 1500 Teilnehmern. Die AJKP-Gruppe gilt als wichtigster Arbeitskreis der Runden Tische für Soziokultur, die von der Verwaltung als Antwort auf die Krise ins Leben gerufen wurden.
Nach mehreren Treffen mit Vertretern von Jugendzentren wie dem Archiv, mit dem Spartacus e.V. und anderen interessierten Jugendlichen legte der Arbeitskreis im Januar den „Zehn-Punkte-Plus-Plan“ vor. In dem Papier werden unter anderem die Sanierung des maroden Archiv-Jugendzentrums, ein Ersatz für den Spartacus und mehr legale Flächen für Sprayer gefordert. Außerdem sollen die limitierten Ausnahmegenehmigungen bei Open-Air- Feiern nicht allein für Großveranstaltungen wie das Stadtwerkefest reserviert bleiben, sondern auch für kleinere Feste ermöglicht werden. Ein weiteres Ziel ist, einen Beirat für jugendkulturelle Projekte zu bilden, in dem Jugendliche und Stadtverwaltung gemeinsam über die Förderung von alternativen Projekten abstimmen. Die Stadt hat dafür bereits einen Fördertopf über 10 000 Euro angekündigt. Die Ziele finden sich im Internet unter www.ajkp.de. Dort gibt es auch ein Diskussionsforum, in dem sich Potsdamer Jugendliche über die Zukunft der alternativen Szene und der Soziokultur austauschen können.
Denn die Diskussion des vergangenen Jahres geht auch dieses Jahr weiter. So ist für den 6. Juni eine Demonstration unter dem Motto „Lebensräume statt Preußenträume" angemeldet. Auch der AJKP tagt weiter,
am heutigen Donnerstag ab 18 Uhr auf dem Gelände von „Freiland“, dem geplanten Jugendzentrum in der Friedrich-Engels-Straße 22 gegenüber dem RAW-Gelände zwischen Schlaatzweg und Schlaatzstraße. pbi
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