
© Andreas Klaer
Interview zu Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt: „Wir müssen Flüchtlinge enger betreuen“
Die Potsdamer Chefin der Agentur für Arbeit, Ramona Schröder, lobt Asylbewerber als hoch motiviert. Doch die Jobvermittlung ist schwieriger als erwartet.
Stand:
Frau Schröder, im Sommer hat die Agentur für Arbeit Potsdam in einem bis dahin bundesweit einzigartigen Projekts begonnen, durch Flüchtlingsheime zu touren. Ziel ist es, den Neuankommenden zu erklären, wie sie in Deutschland Arbeit finden können. Wie fällt Ihr Fazit bislang aus?
Für mich war der bleibende und tiefste Eindruck, wie hoch motiviert, interessiert und offen die Flüchtlinge sind. Sie haben sehr viele Fragen. Die meisten sind auch tatsächlich erschienen. Das ist bei den allgemeinen Vermittlungsaktionen für Ausbildungsplätze anders. Allerdings sind die Sprachkenntnisse sehr unterschiedlich - von Null bis sehr gut.
Müssen Sie die Flüchtlinge motivieren?
In dem Erstkontakt erleben wir immer eine absolut hohe Motivation. Dort stellen wir uns zunächst vor und laden anschließend zu Einzelgesprächen. Die Menschen müssen sich nach den schlimmen Erfahrungen besinnen und sie haben so viele Themen, die sie klären müssen. Allerdings kommen nicht immer alle zu den vereinbarten Terminen.
Wie erklären sie sich das?
Wir vergeben einen Termin und wenn sie nicht an diesem Tag kommen, kommen sie eben einen Tag später. Das Zeitempfinden der Menschen ist offensichtlich komplett anders. Viele kamen auch zu spät zu den Veranstaltungen. Aber eine halbe Stunde später waren die Vortragsräume gefüllt. Das ist wichtig zu wissen, wenn die Flüchtlinge ins Arbeitsleben einsteigen.
Nehmen die Flüchtlinge anderen Arbeitssuchenden Plätze weg?
Nein, Ende Oktober hatten wir knapp 500 betriebliche Ausbildungsstellen, die wir nicht besetzen konnten. Und wir haben nur 200 unvermittelte Bewerber. Jeder, der eine Ausbildung sucht, findet eine. Wir haben ganz klar mehr Ausbildungsstellen als Bewerber aus der Jugend, die hier wohnt - und zwar über das gesamte Spektrum hinweg. Auch bei den Jobs sinkt die Arbeitslosigkeit immer weiter und die Zahl der freien Stellen steigt. Derzeit gibt es 60 Prozent mehr freie Stellen als im Vorjahresmonat. Natürlich ist das auch immer eine Frage der Jobqualität und der Mobilität. Aber kein Flüchtling der eine Bleibeberechtigung hat, nimmt jemandem, der hier schon lange wohnt, den Job weg. Wir werden auch zusätzliche Mittel bekommen, um die Qualifizierungen auszubauen. Auch das Angebot der Fort- und Weiterbildung für deutsche Arbeitnehmer werden wir nicht einschränken.
Momentan sind im Bereich der Agentur für Arbeit Potsdam 240 asylberechtigte Menschen mit einer Arbeitserlaubnis im Jobcenter gemeldet. 200 werden von der Arbeitsagentur betreut. Wie viele konnten Sie in eine Arbeits- oder Lehrstelle vermitteln?
Wir haben seit dem Sommer drei Einstiegsqualifizierungen sowie 13 sogenannte Arbeitserprobungen vermittelt. Auch unterstützen wir die Sprachförderung sehr intensiv. Ein Asylbewerber wurde bisher fest vermittelt.
Läuft das alles problemlos?
Nicht immer. So wurden mehrere Asylbewerber in ein Potsdamer Hotel vermittelt. Dann gab es Diskussionen über Frauen in Führungspositionen. Auch der Alkoholkonsum der Gäste löste Probleme aus. Wir haben daraus gelernt, dass wir künftig auch soziokulturelle Themen berücksichtigen müssen, die ansonsten nicht erforderlich sind. Der Mitarbeiter hatte leider dauerhaft keinen Erfolg.
Was ziehen Sie daraus für Schlüsse?
Beide Seiten müssen lernen, die Asylbewerber und die Agentur für Arbeit. Wir müssen das gemeinsam lösen. Und wir müssen die Flüchtlinge länger und enger betreuen. So sprechen die Betreuer solche Themen jetzt aktiv an. Interessierte Firmen nennen auch die Hausregeln. Wir müssen überlegen, wie wir eine Art Nachbetreuung organisieren können, wenn der Mitarbeiter schon im Unternehmen ist. Als der entscheidende Hinderungsgrund für eine Beschäftigung werden von den Unternehmen immer wieder die mangelnden Sprachkenntnisse genannt.
Ihre Mitarbeiter sind immer wieder in den Unterkünften und führen Einzelgespräche. Wie gut sind die Sprachkenntnisse?
Wir haben vom Akademiker bis zum Beinahe-Analphabeten fast alle Kompetenzbereiche in der Betreuung. Eine Aufteilung in Gruppen ist aber schwierig. Seit November bieten wir für den gesamten Agenturbezirk mehr als 800 Sprachkurs-Plätze. Für Potsdam-Stadt sind es knapp 300 Plätze für jeweils bis zu 320 Unterrichtsstunden. Die Kurse werden von verschiedenen Trägern angeboten, etwa der Volkshochschule. Die Flüchtlinge können sofort in die Sprachkurse gehen und müssen nicht warten.
Gilt das auch nach der jüngsten Reform des Asylgesetzes für alle Flüchtlinge?
Nein, nur für diejenigen Asylbewerber, die eine gute Bleibeperspektive haben.
Gibt es ausreichend viele Angebote?
Aktuell haben die Träger über 1000 Plätze zur Verfügung gestellt. Das müsste in Kombination mit den schon vorhandenen Angeboten reichen – natürlich kann ich die Entwicklung der Zuwanderung nicht vorhersagen.
Wie hoch ist die allgemeine Qualifikation der Menschen?
Unter zehn Prozent der Menschen sind Akademiker. Für einige wird das Thema Schulabschluss vorrangig sein. Dazwischen gibt es sehr viele, die berufliche Qualifikationen haben, die aber nicht wie bei uns mit einem Dokument hinterlegt sind. Viele haben Erfahrungen im technischen und handwerklichen Bereich. Wir werden sicher am Anfang viele Flüchtlinge in Helfertätigkeiten vermitteln. Wir haben aber die Möglichkeit, die Menschen weiter zu qualifizieren.
240 Menschen werden vom Jobcenter betreut. Warum?
Nun, zunächst erhalten Asylbewerber Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Sobald das Asylverfahren abgeschlossen ist und die Menschen asylberechtigt sind, haben sie Anspruch auf Arbeitslosengeld II und werden von den Jobcentern betreut – so lange, bis sie ihren Lebensunterhalt allein bestreiten können. Außerdem können sie alle Integrationsangebote des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und des Jobcenters nutzen. Das ist der Hintergrund.
Was machen Sie, wenn ein Flüchtling das nicht nutzt und nicht mitmacht?
Formalrechtlich sind sie verpflichtet, alles zu tun, um ihre Hilfebedürftigkeit schnellstmöglich zu beenden. Da wird nicht unterschieden. Allerdings wird mit den Menschen ein Integrationsplan erstellt. Das führt dann nicht sofort dazu, dass Leistungen gekürzt werden. Aber ich habe noch nie von so einem Fall gehört. Die Menschen wollen tatsächlich ankommen und sind hoch motiviert.
2014 werden vermutlich mehr Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu vermitteln sein als jetzt. Gibt es da einen Punkt, wo sie sagen, dass überfordert die Agentur für Arbeit?
Nein. Erst mal sind wir schon jetzt dabei, Mitarbeiter einzustellen. Wir bereiten uns bereits vor. Entscheidend ist, ob die Menschen wirklich hier bleiben oder in andere Regionen gehen. Es ist wichtig, dass die Landkreise richtig damit umgehen und mit uns zusammenarbeiten.
Spielen die Arbeitgeber mit bei der Integration der Menschen?
Ja, das läuft sehr gut.
Seitens der Wirtschaft gibt es die Forderung, für die Beschäftigung von Flüchtlingen Ausnahmen beim Mindestlohn zu schaffen. Was halten Sie davon?
Der vorausgesagte Rückgang an Arbeitsplätzen war nie zu verzeichnen. Und warum sollte es dann jetzt Ausnahmen geben? Der Mindestlohn gilt für Alle. Punkt.
Neben Fachkräften mangelt es derzeit vor allem an Auszubildenden. Der Geschäftsführer des Fachverbandes Sanitär, Heizung und Klima, Erik Debertshäuser, hat kürzlich auf einer von Ihnen organisierten Veranstaltung gesagt, es sei schwierig, einen über 30 Jahre alten Mann eine Ausbildungsstelle zu vermitteln. Stimmt das und wieso ist das so?
Irgendwann gibt es natürlich eine Altersregion, wo es vielleicht wirklich keinen Sinn mehr macht. Aber es gibt auch bei uns junge Leute, die erst mal eine Ausbildung beginnen, dann studieren um dann eine weitere Lehre anzufangen. Das irritiert auch niemanden. Wenn wir einen 30 Jahre alten Mann vermitteln, und wir sind der Meinung, er sollte noch mal in eine Ausbildung gehen, muss ich mich schon fragen, ob das in der Berufsschule zwischen all den 18- und 19-Jährigen funktioniert. Das lässt sich aber auch organisieren.
In welchen Branchen werden Fachkräfte gesucht?
Vor allem im Hotel- und Gaststättenservice, in der Logistik, im Bereich Heizung und Sanitär, im Gesundheitswesen sowie im Garten- und Landschaftsbau.
Im Februar wollen Sie das Projekt „Perspektive für Flüchtlinge“ starten, in dem einige Asylbewerber noch enger betreut werden sollen. Was ist geplant?
Zunächst geht es um die Sprache. Ab Februar wollen wir dann die Kenntnisse vertiefen, die Qualifikationen der Menschen bewerten und ein Bewerbungstraining anbieten. Diese Programme wie auch die Sprachkurse müssen aber immer wieder neu aufgelegt werden. Es wäre schön, wenn wir für alle Teilregionen unseres Bezirkes immer aktuelle Angaben über die Zahl der Flüchtlinge bekommen könnten. Hier ist Potsdam vorbildlich. In Bezug auf die Landkreise ist die Datenlage sehr unterschiedlich.
Werden Sie trotzdem im kommenden Jahr wieder durch die Flüchtlingsunterkünfte der Region touren? Noch im Sommer hieß es, das Projekt sei vorerst bis Ende des Jahres geplant.
Wir waren jetzt in über 30 Einrichtungen und haben mit 900 Flüchtlingen gesprochen. Wir müssen jetzt erst mal abwarten, ob die Einreisewelle nach Deutschland anhält. Dann werden wir auch die Besuche weiterführen.
ZUR PERSON: Ramona Schröder (55), steht seit vergangenem Jahr an der Spitze der Agentur für Arbeit Potsdam. Zu ihrem Agenturbezirk gehören auch Brandenburg/Havel sowie die Kreise Potsdam-Mittelmark und Teltow-Fläming. Die promovierte Politik-Ökonomin leitete zuvor dreizehn Jahre die Agentur für Arbeit Berlin-Mitte, bevor sie in die Landeshauptstadt wechselte.
Sie gründete gleich zu Beginn eine sogenannte Jugendberufsagentur, in der Bildungsträger und Sozialpartner wie Arbeitsagentur, Jobcenter, Jugendämter und Schulen zusammenarbeiten. Schröder ist verheiratet und hat einen Sohn.
Stefan Engelbrecht
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