
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Wirtschaft gibt Stadt schlechte Noten
Interessen und Probleme der Firmen werden ignoriert, kritisieren Verbände und Unternehmen
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Wirtschaftsverbände und Unternehmen in Potsdam werfen der Stadtpolitik wirtschaftspolitisches Versagen vor. Statt sich für die Bedürfnisse und Probleme der Betriebe zu interessieren, würden sich die Stadtverordneten und die Verwaltung fast ausschließlich auf Themen wie Stadtentwicklung und Wohnen konzentrieren. „Das Desaster um das ,Go:in’ ist nur ein Symptom einer viel tiefer liegenden Schwäche der Stadtpolitik. Dass es bis heute kein unabhängiges Wirtschaftsdezernat gibt, ist ein Sündenfall in der Politik dieser Stadt“, sagte etwa der Potsdamer Kreisvorsitzende des Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga), Arndt Gilka-Bötzow, am Dienstag den PNN.
Auch die Präsidentin der Industrie- und Handelskammer Potsdam (IHK), Beate Fernengel, hatte vor Kurzem in einem PNN-Interview die Prioritätensetzung in der Stadtverwaltung gerügt. „Wirtschaftliche Belange kommen zu kurz. Das Thema Wohnen wird zurzeit überstrapaziert“, hatte Fernengel erklärt.
Unzufrieden ist man auch in der Handwerkskammer Potsdam. Dass es rund 20 Jahre gedauert habe, bis im vergangenen Jahr endlich der Grundstein für einen Gewerbehof gelegt wurde, sei beispielhaft dafür, „wie schwierig und zäh Wirtschaftsthemen in der Stadt“ umzusetzen seien, heißt es aus der Kammer. „Nicht zu vergessen sind die Diskussionen um die unselige Tourismusabgabe. Da ging es nur darum, Betriebe zu melken und abzuzocken“, sagte Kammersprecherin Ute Maciejok.
Wie berichtet hatten die Stadtverordneten im vergangenen Mai nach langem Hin und Her schließlich stattdessen die Bettensteuer beschlossen, um Lücken im Bildungsetat zu schließen. Demnach müssen Übernachtungsbetriebe in Potsdam seit Anfang Oktober pro Gast auf den Nettoübernachtungspreis noch einmal fünf Prozent draufschlagen und an die Stadt abführen. Bei einer Tourismusabgabe dagegen hätten alle die von allen Gewerbetreibenden der Stadt zahlen müssen.
Die Stadt rechnet dadurch mit zusätzlichen Einnahmen von rund 870 000 Euro. Die Inhaberin des Hotels „Bayrisches Haus“, Gertrud Schmack, hat wie berichtet stellvertretend für eine ganze Reihe anderer Potsdamer Hoteliers vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Klage gegen die geplante Bettensteuer erhoben. „Wir Hoteliers haben die Stadt Potsdam in den letzten Jahren in vielfältiger Weise unterstützt und so Hunderttausende Euro an freiwilligen Leistungen erbracht. Es kann nicht sein, dass eine einzelne Branche zum Stopfen offener Haushaltslöcher herangezogen wird“, hatte Schmack kritisiert.
Jüngstes Versagen der Stadt ist die Panne rund um das Gründerzentrum „Go:in“ in Golm, das Start-ups für einen begrenzten Zeitraum als erster Firmensitz zur Verfügung steht. Ende Oktober allerdings hatten wie berichtet vier inzwischen namhafte Firmen, deren Mietverträge auslaufen, öffentlich der Stadt vorgeworfen, trotz eines gegenteiligen Versprechens nicht für einen Ersatz am Standort gesorgt zu haben. Die Unternehmen, darunter das Biotech-Labor von Brandenburgs Unternehmerin des Jahres, Dagmar Köhler-Repp, hatten erklärt, sollte sich keine Lösung in Potsdam finden, sähen sie sich genötigt, abzuwandern. Der Standortmanager des Gründerzentrums, Friedrich Winskowski, hatte der Politik ebenfalls vorgeworfen, bei der Wirtschaftspolitik versagt zu haben. Erst nach dem Aufschrei hatte die Politik reagiert und den Neubau eines Ausweichquartiers beschlossen.
Fernengel, die sich bereits früh in den Konflikt eingeschaltet hatte, macht an dem Beispiel ein generelles Manko fest: „Man kann nicht Gründer erst unterstützen und danach sich selbst überlassen.“
Heftige Kritik aus der Wirtschaft fängt sich die Stadt auch immer wieder für ihre Verkehrsplanung ein. Im Sommer etwa hatten die vielen parallelen Baustellen die Handwerksbetriebe und Händler auf die Barrikaden getrieben. „Die Situation ist katastrophal und macht sich sofort am Ladentisch bemerkbar. Die Stadt sollte schnell darüber nachdenken, wer hier zum Haushalt beiträgt“, hatten Ladenbettreiber gepoltert. Die IHK hatte der Stadt eine schlechte Planung vorgeworfen.
Ein Dorn im Auge sind den Unternehmen aber auch die sogenannten Pförtnerampeln, die bei steigender Luftverschmutzung in der Innenstadt den einfahrenden Verkehr reduzieren sollen. Die Folge sind lange Staus am Potsdamer Stadtrand. „Die Pförtnerampeln müssen wieder weg, es muss langfristiger geplant werden“, so Fernengel.
Die IT-Branche dagegen wirft der Stadtpolitik vor, das Potenzial nicht ausreichend zu nutzen. Mit den vielen kleinen Firmen, dem „Hasso Plattner Institut“ und dem SAP-Innovationscenter am Jungfernsee sowie der Großstadt Berlin vor der Tür hätte Potsdam durchaus das Zeug dazu, ein zweites Palo Alto zu werden, so der Mitgründer und Geschäftsführer der Derdack GmbH, Matthes Derdack. In dem kalifornischen Ort im Silicon Valley haben viele große Computertechnologie-Firmen ihren Sitz. Auch Jörn Hartwig, Vorstandschef der D-Labs GmbH und Mitgründer des Branchenvereins Silicon Sanssouci, glaubt, dass in Potsdam Chancen vertan werden. „Das können Sie schon allein daran sehen, dass es in Potsdam seit Jahren einen Tourismusausschuss und Ausschüsse für alles Mögliche gibt, aber keinen Wirtschaftsbeirat.“
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