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Gefragte Hilfe. Shakila Ghafuri und Dawood Soltani flüchteten aus Afghanistan. Sie haben viele Fragen. Die Flüchtlingsberatung der Diakonie versucht, sie zu beantworten.

© Christoph Freytag

Flüchtlingsberatung in Potsdam: Wissen, wie’s läuft

Die Flüchtlingsberatung der Diakonie in Babelsberg hat seit dem vergangenen Jahr alle Hände voll zu tun. Hier geht es um Bleiben oder Gehen – aber auch um Kleinigkeiten wie Klingelschilder.

Von Katharina Wiechers

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Babelsberg - Es sind viele Kleinigkeiten, die in dieser halben Stunde besprochen werden. Annina Beck, Beraterin bei der Diakonie, schreibt auf, hakt ab, arbeitet auf. Denn aus jeder dieser Kleinigkeiten könnte eines Tages ein großes Problem werden, würde sie das nicht tun. Das wissen auch Dawood Soltani und Shakila Ghafuri, das Ehepaar aus Afghanistan. Schon oft waren sie in Annina Becks Beratungsstunde – und es wird noch einige Termine mehr geben.

Beratungsfachdienst für MigrantInnen heißt die Stelle, in der Annina Beck sitzt, Träger ist das Diakonische Werk, das in der Babelsberger Rudolf-Breitscheid-Straße mehrere Räume angemietet hat. Die Stelle ist unter Potsdams Flüchtlingen und ihren Helfern bestens bekannt – auch, weil es die einzige offizielle Beratungsstelle dieser Art ist. Vor allem seitdem im Jahr 2015 so viele neue Flüchtlinge in Potsdam ankamen, ist die Beratungsstelle stark überlastet – es bräuchte noch viel mehr Personal, um all die vielen Fragen zu klären.

Eineinhalb Stellen für die ganze Stadt

So werden zum Beispiel für die Beratung von Flüchtlingen, die schon in eigenen Wohnungen leben, gerade einmal eineinhalb Stellen von der Stadt finanziert. Und das, obwohl viele mit dem Auszug aus ihrer Gemeinschaftsunterkunft den einzigen deutschen Ansprechpartner verlieren. So wie Dawood Soltani und Shakila Ghafuri, die mit ihrem fünfjährigen Sohn Amir Hussein in einer Wohnung am Schlaatz leben, aber noch nicht ausreichend Deutsch sprechen, um Amtsbriefe zu verstehen oder Anträge bei Behörden stellen zu können.

Oder um herauszufinden, warum die Post an die Frau nie ankam – auch nicht die wichtige, zum Beispiel vom Sozialamt. Annina Beck hat es herausgefunden: Am Briefkasten stand nur Dawoods Nachname, nicht aber Shakilas. Wahrscheinlich hatte der Vermieter nicht bedacht, dass in Ländern wie Afghanistan Männer und Frauen unterschiedliche Nachnamen haben. Er wird die Schilder nun ändern, Annina Beck hat angerufen.

Nächster Punkt auf ihrer Liste: Stromrechnung. Da gab es letztes Mal Probleme. Dawood berichtet, dass die ausstehende Rechnung bezahlt und ein Dauerauftrag eingerichtet ist. Abgehakt. Genauso wie die Sache mit dem Dolmetscher. Bald hat Shakila einen Termin beim Gynäkologen, sie ist schwanger und der Sprachmittler soll sie begleiten. „Die Stadt übernimmt die Kosten für diesen Termin“, sagt Annina Beck. Ob das auch beim nächsten Mal so sein wird, weiß sie nicht. „Also am besten beim ersten Termin möglichst viele Fragen stellen“, ermuntert sie die beiden.

Warten auf die Anhörung

Ein paar Punkte folgen noch, es geht um den Deutschkurs, die Gesundheitskarte, das Kitamittagessen. Am Ende formuliert Dawood noch die Frage, die ihn sichtlich am meisten beschäftigt: Warum sie noch keine Anhörung wegen ihres Asylgesuchs hatten? Die Familie weiß noch immer nicht, ob sie in Deutschland blieben kann, dabei sind sie schon mehr als ein Jahr hier. Hier stößt Annina Beck erstmals an ihre Grenzen. „Es macht wahrscheinlich wenig Sinn, wenn ich jetzt beim Bamf anrufe“, sagt sie und meint damit das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das über die Asylanträge entscheidet. Sie verspricht aber, sich mit einem Anwalt in Verbindung zu setzen, der sich schon mal mit der Familie befasst hat, vielleicht weiß der etwas. Dann wird noch ein weiterer Termin verabredet – und Annina zieht die nächste Akte hervor.

Ob sie das Gefühl hat, die Fragen würden nie enden, egal, wie lange die Familie hier ist? Nein, sagt sie ganz optimistisch. Jedes Problem muss eben einmal auftauchen und bearbeitet werden, beim nächsten Mal wüssten die Menschen dann selbst, wie man es löst, an wen sie sich wenden müssen. „Irgendwann wissen sie, wie es läuft.“

Ein paar Türen weiter in dem Babelsberger Büro sitzt Katrin Böhme, sie leitet den Beratungsfachdienst. Dieser ist in drei Teile gegliedert, erklärt sie: Die überregionale Beratung von Flüchtlingen, die sich noch im Asylverfahren befinden und meist in Heimen wohnen – hier ist die Potsdamer Stelle für die Landeshauptstadt selbst, aber auch für Brandenburg/Havel sowie die Landkreise Potsdam-Mittelmark und Teltow-Fläming zuständig. Dann die Beratung für Zuwanderer, die wahrscheinlich dauerhaft hier bleiben können, also zum Beispiel anerkannte Flüchtlinge oder Zuwanderer aus der EU. Und eben die Beratung von Flüchtlingen in eigenen Wohnungen, die zum Beispiel Annina Beck anbietet.

Zusammengerechnet haben ihre sechs Mitarbeiterinnen im vergangenen Jahr rund 4000 Menschen beraten, ein unglaubliches Pensum. „Die Kolleginnen haben wirklich sehr hart gearbeitet im letzten Jahr, oft bis zur Erschöpfung“, sagt Böhme mit Anerkennung in der Stimme. Aber auch mit Bitterkeit – denn die Stellen, die sie zur Verfügung hat, reichen hinten und vorne nicht. „Sozialarbeit lebt eigentlich davon, Zeit zu haben, ein Problem ganzheitlich zu erfassen“, sagt sie. „Aber in den letzten zwei Jahren hatten wir sehr wenig Zeit.“

Unabhängig von der Religion

Und von dem Rückgang der Flüchtlingszahlen ist in der Beratungsstelle noch nichts zu spüren, die Fallzahlen werden für 2016 etwa so hoch sein wie 2015, schätzt Böhme. Immerhin an einer Stelle hat sich nun etwas getan, die überregionale Beratung, die das Land finanziert, wird aufgestockt: Künftig hat Böhme hier viereinhalb statt bislang drei Stellen zur Verfügung – von denen eine im vergangenen Jahr notfallmäßig von der evangelischen Kirche finanziert wurde.

Apropos Kirche – missionarisch ist der Beratungsfachdienst ausdrücklich nicht. „Wir arbeiten unabhängig von der Religion und das sagen wir den Ratsuchenden auch“, so Böhme. Dass der Fachdienst in Notsituationen wie 2015 und 2016 vom evangelischen Kirchenkreis Potsdam, der Landeskirche und dem Evangelisch-Kirchlichen Hilfsverein finanziell unterstützt wurde, hat die Arbeit maßgeblich gestärkt.

Böhme ist stolz, dass sich die Diakonie in Potsdam bei Geflüchteten und deren ehrenamtlichen Unterstützern einen Namen gemacht hat und als gut informierte Stelle gilt. Auch politisch ist sie aktiv, zum Beispiel aktuell beim Thema Familienzusammenführung. Die Bundesregierung hat diese für zwei Jahre ausgesetzt, und nicht selten sitzen verzweifelte Menschen in der Beratungsstelle, die nicht wissen, wie sie Frau und Kind aus dem Bombenhagel etwa in Aleppo retten sollen. „Oft entscheiden sie sich, die Familie dann über das Meer zu holen, und das ist lebensgefährlich. Erst neulich hatten wir hier einen Fall, in dem das tödlich ausgegangen ist“, sagt Böhme.

Die Mitarbeiterinnen des Fachdienstes wollen die Politik wachrütteln, jedes Mitglied des Auswärtigen Ausschusses bekommt jetzt jeden Einzelfall aus Potsdam mitgeteilt. Das verursacht zwar noch mehr Arbeit. Aber steter Tropfen höhlt den Stein, so Böhmes Hoffnung.

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