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Prinzip Hoffnung. Heilserwartungen prägen die Erwartung des Messias.

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Homepage: Wo bleibt der Messias?

Wissenschaftler diskutieren auf einem Symposium des Moses Mendelssohn Zentrums über Heilsfiguren

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Ob der Messias nun schon gekommen sei, darüber waren sich Wissenschaftler uneinig. „Netanjahu könnte der Messias sein“, sinnierte ein Diskutant aus dem Publikum des Symposiums „Messianismus in Geschichte und Gegenwart“. Das Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam hat zusammen mit dem Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg zu Vortrag und Diskussion eingeladen. „Das ist ein ganz aktuelles Thema“, stellte Julius H. Schoeps, der Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums, fest. Terrorgruppen wie „Islamischer Staat“ oder „Boku Haram“ würden zeigen, dass sich die Menschheit noch lange nicht von religiös geprägten Heilserwartungen verabschiedet hätte.

Nachdem verschiedene Konzepte messianischer Denkfiguren in der Historie beleuchtet worden waren, fragten die Forscher, wo denn heute der Messias zu suchen sei. Immerhin könne der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei seiner gegenwärtigen offensiven politischen Strategie auf Zustimmungswerte von teilweise über 90 Prozent blicken, bemerkte ein Teilnehmer des Symposiums. Der Philosoph Elad Lapidot, der unmittelbar zuvor in seinem Vortrag gefragt hat: „Ist der Messias demokratisch wählbar?“, geriet darüber ins Nachdenken. Mögliches Kriterium für einen Messias sei eine demokratische Wahl und eine breite Gefolgschaft hatte Lapidot festgestellt. Damit hatte der Philosoph einen neuzeitlichen Messiasbegriff definiert, der auf den ersten Blick ein wenig absurd erscheint. Denn konstituierendes Merkmal für die Messiasgestalt in der Geschichte war eigentlich gerade nicht die demokratische Zustimmung, sondern die „zeitliche Überlappung von Vergangenem, Gegenwärtigem und Kommendem“, so Lapidot.

Der Messias verkörperte in früheren Jahrhunderten die Hoffnungen der Menschen. Er war die Mensch gewordene Utopie und hatte einen Draht zum metaphysischen Heiligen. Vornehmlich in der christlichen und jüdischen Religion verortet, haben sich über die Jahrtausende ganz verschiedene Konzepte für die Figur des Messias entwickelt. Der emeritierte Potsdamer Religionswissenschaftler Karl E. Grözinger zählte in seinem Vortrag über jüdische Messiaskonzepte immerhin zehn verschiedene Möglichkeiten auf: der politische Messias, der prophetische, der apokalyptische, der priesterliche, der theurgische, also der heilende, sind einige davon.

Die Vorträge des Symposiums machten deutlich, dass die Menschheit schon immer dazu geneigt war, ihre utopischen Hoffnungen auf ein friedvolles Leben in Einklang mit himmlischen Segnungen auf eine Person zu projizieren. Elad Lapidot meint auch den Grund dafür zu kennen: „Das Wesen des Menschen ist die Unruhe.“ Weil die Menschheit stets auf der Suche wonach auch immer sei, neige sie dazu, ihre utopischen Vorstellungen in einem Menschen zu konzentrieren. Der Islam allerdings schließe dogmatisch die Idee einer Person, die als göttliches Wesen auf die Erde komme, aus. „Mohammed war ein Nachfolger Allahs, ein Prophet, aber selber kein Gott wie Christus“ so der Philosoph Hans Otto Seitschek. Entsprechend dem Koran benötige der Islam auch keinen eigenen Staat, wie es gegenwärtig die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ im Nahen Osten anstrebt.

Und heute, inwieweit sind die überlieferten messianischen Ideen noch aktuell? Der US-Präsident Barack Obama und der venezuelanische Politiker Hugo Chavez wurden von den Wissenschaftlern als charismatische Figuren genannt. Sie hätten ähnliche Erwartungen heraufbeschworen wie Messiasgestalten in früheren Zeiten. „Daran konnten sie nur scheitern“, sagte Lapidot. Er kommt in seinem Vortrag zu dem Schluss, dass der gegenwärtige Messias überhaupt nur gewählt werden könne. Denn: „Entscheidend ist die Struktur und der Prozess, aus dem der Messias hervorgeht. Nur in der Demokratie sind die Regierten frei, weil sie sich frei dafür entschieden haben, die gewählte Ordnung, die der Regierende vertritt, für gut zu halten“.

Aus dem Publikum kam deutlicher Widerspruch. Man sei sich doch wohl als rational denkende Wissenschaftler einig, dass mit keinem gegenwärtigen Politiker religiös konnotierte Vorstellungen verknüpft werden könnten. Netanjahu sei kein Messias. Als frei denkender Geisteswissenschaftler müsse man aber auch zu Gedankenspielen in der Lage sein, lautet Lapidots Replik. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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