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WEIMERS Woche: Wo ist die Mauer?

Wolfram Weimer über Vergessen und Überbleibsel der Grenze

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In dieser Woche war ich an der Berliner Mauer. 46. Jahrestag, Debatte um Schießbefehl, neugierig-fragende Kinder. Also hin, zumindest zu dem Wenigen, was von ihr übrig geblieben ist. Bei unserem Büro am Potsdamer Platz zwischen Vapiano und Dunkin Donut stehen noch ein paar Meter mit Erklärtafeln für Touristen. Sie sind jeden Tag umringt von Hunderten aus aller Welt, die sich einfach nicht vorstellen können, wie es war mit, neben, vor und hinter der Mauer. Und sie wundern sich, dass man nur noch so wenig von ihr zu sehen bekommt. Ein Japaner fragt mich, ob wir in Potsdam denn mehr von der Mauer haben stehen lassen. Die Glienicker Brücke sei doch berühmt für die Mauergrenze. Ich muss ihn enttäuschen. Da ist nichts mehr. Auf der Heimfahrt über die Glienecker Brücke muss ich daran denken. Die Brücke ist bis heute hälftig in unterschiedlichen Grüntönen gestrichen, aber mehr Originales erinnert nicht an die Teilung. Nur in Groß Glienicke sowie in einem abgelegenen Babelsberger Winkel an der Stubenrauchstraße stehen noch Mauerreste und man erwägt dort Erhalt und Erinnerung. In der Bertinistraße werden in diesen Tagen letzte Überbleibsel abgerissen. Platz für schöne See-Villen. Insgesamt ist die Mauer in Potsdam ziemlich gründlich beseitigt worden. Zu gründlich, eigentlich.

Und ich frage mich – warum? Zum einen will Potsdam seine historische Schönheit als preußisches Arkadien erstrahlen lassen und da würden hässliche Mauerstrecken nur stören. Das kann ich gut verstehen. Zum zweiten freut man sich so an der Wiedervereinigung, an der wieder gewonnen Normalität, dass man nicht gerne an die dunkle, bleierne Zeit erinnert werden will. Der radikale Abriss ist insofern eine Geste der Erleichterung. Das kann ich auch noch verstehen. Das dritte Motiv aber macht mich skeptisch. Denn das allzu gründliche Aufräumen hat auch etwas von Verwischen der blutigen DDR-Spuren. Manche wollen aus politischen Gründen lieber nicht mehr erinnert werden an die hässliche Fratze des Kommunismus. Denn ohne Mauer kann man sich die linke Diktatur leichter schönreden. Deshalb bin ich dafür, die historisch so spektakuläre Grenze an wenigstens einem Ort in Potsdam sichtbar zu machen. Nicht nur für die japanischen Touristen, auch für uns selber.

Wolfram Weimer schreibt an dieser Stelle regelmäßig für die PNN. Unser Autor ist Chefredakteur des Magazins „Cicero“ und lebt mit seiner Familie in Potsdam

Wolfram Weimer

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