Landeshauptstadt: Wo „Mumpe“ fließt und Ariadne wartet
Am Alten Markt geht es voran: Seit gestern zeigt der Stadtschlossverein eine erneuerte Trophäe des Fortunaportals. Auf der Landtagsbaustelle beginnt der Hochbau
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Innenstadt - Die blaue Box zieht die Neuankömmlinge auf dem Alten Markt an wie ein Magnet. Kaum haben Touristen oder auch Potsdamer das neuehrwürdige Pflaster in Potsdams Mitte betreten, sehen sie den Sandstein-Koloss, der seit gestern neben dem Info-Container der Bürgerinitiative Mitteschön und des Stadtschlossvereins steht und strömen auf ihn zu. „Alle kommen gucken“, freut sich Hans-Joachim Kuke, und sein Mitstreiter Didier Pohlig kann schon auf einen Anstieg der Spendenbereitschaft an diesem Morgen verweisen. „Ein Schwabe gab sogar 100 Euro“, berichtet Pohlig, will aber nicht ausschließen, dass es sich um einen alten Potsdamer handelte. Fast täglich und unverwüstlich versucht Pohlig, Interessierte über den Wiederaufbau des Stadtschlosses als neuen brandenburgischen Landtag zu informieren und um Spenden für Schlossfiguren zu werben.
Um 9 Uhr kam der Laster und innerhalb einer dreiviertel Stunde setzte ein Kran die tonnenschwere Sandsteinfigur auf ein eigens angefertigtes Holzpodest ab. Es ist eine sogenannte Trophäe, die einst das Fortunaportal schmückte und nun durch die Berliner Bildhauer Andreas Artur Hoferick und Raphael Strauch restauriert und rekonstruiert wurde. Gefertigt aus bestem Cottaer Sandstein, geliefert aus Sachsen, sind die Übergänge zwischen der Substanz, die noch vorhanden war, und den aus dem neuem Material ersetzten Partien gut erkennbar. Trophäen sind Anordnungen von Waffen besiegter Feinde. Noch von der Original-Trophäe vorhanden ist ein kompletter Harnisch, erkennbar am dunklen, verwitterten Material, den Spuren der Zeit. Goldgelb strahlt dagegen der neue Sandstein. Fein ausgearbeitet sind die Schnittstellen, fließend geht alt in neu über, ohne Widerstand, ohne Spalt, wie zusammengewachsen.
Die spontane Spende des Schwaben wird auch daher rühren, dass nun jeder sofort sehen kann, wofür das Spendengeld ausgegeben wird – für meisterhafte Bildhauerarbeit, die ihren Preis hat. Der Stadtschlossverein hat sich zur Aufgabe gestellt, aus Spendenmitteln die alten Dachfiguren des Stadtschlosses anfertigen und wieder aufstellen zu lassen. Die gestern angelieferte Trophäe geht auf einen Einzelspender zurück: Der heutige Berliner Hans-Jürgen Zippel wollte etwas für seine Geburtsstadt tun und spendete mehrere zehntausend Euro. Am Donnerstag, dem 21. Juli, wird ihm Oberbürgermeister Jann Jakobs ab 10.30 Uhr auf dem Alten Markt für sein Engagement danken.
Auf das Fortunaportal zurückkehren soll die Trophäe erst nach Fertigstellung des neuen Landtages in zwei Jahren. Markantestes Detail der Skulptur ist ein kleiner Drache, der auf einem Kriegerhelm thront und der Mythologie nach das Böse vertreiben soll. Der Originalfigur war es offenbar nicht gelungen, das Böse fernzuhalten: Der kleine Drache ist aus neuem Sandstein geschlagen; der Original-Lindwurm ging demnach beim Bombenangriff auf Potsdam im April 1945 oder beim Abriss der Ruinen 1960 verloren.
In zwei Jahren kehrt auch die steinerne Ariadne mit dem nach ihr benannten Faden wieder auf die südöstliche Ecke der wiedererstehenden Schlossfassade zurück. Derzeit lehnt die von Leonhard Storch im Jahr 1750 geschaffene Originalfigur noch etwas unscheinbar und steif an der blauen Box. Der griechischen Mythologie zufolge ist Ariadne die, „die den Helden aus der Verirrung führt“, wie Kuke erzählt. Schönheit ist in der Bildhauerei auch eine Frage der Perspektive: „Man muss sie sich in 18 Meter Höhe vorstellen, wie sie die Beine baumeln lässt“, sagt Kunsthistoriker Kuke. Dann erst werde wirklich deutlich: Die Ariadne „ist ein ganz elegantes Mädchen“.
Bis das soweit ist, fließt noch viel Wasser die nahe gelegene Alte Fahrt hinunter. Eingeweiht wird der neue Landtag voraussichtlich im Frühjahr 2013. Derzeit wächst das Gebäude jeden Tag etwas mehr aus der tiefen Baugrube. Von der Aussichtsplattform der roten Box des Landes aus ist deutlich erkennbar, dass die Baufirma BAM keineswegs Fertigbauteile verwendet, sondern die Betonwände des gerade entstehenden Erdgeschosses vor Ort Stück für Stück gießt. Gerade werden über die Köpfe der Bauarbeiter hinweg die meterlangen Drähte für den Stahlbeton „eingeflogen“. Ein junger Mann, der ebenfalls auf der roten Box Ausschau hält, kennt sich aus im Bauhauptgewerbe. Er berichtet, wie es vonstatten geht: „Drahtgeflecht knüpfen, Verschalung rum und dann ordentlich Mumpe rein“. Ist der Flüssigbeton, die „Mumpe“, ausgehärtet, kommen die Schalenbretter wieder ab und fertig steht da die Wand. Im Herbst dieses Jahres will das Land Richtfest feiern. Ob der neue Landtag in Gestalt des Potsdamer Stadtschlosses auch eine Kupferdach erhalten wird, wie es das historische Vorbild einst besaß, wird noch entschieden. Die Mehrkosten von Kupfer im Vergleich zu Zink will der Stadtschlossverein aus Spenden zusammenbringen. Bislang aber, so deutet es sich an, spenden die Freunde der Wiedergewinnung der alten Potsdamer Mitte lieber für Trophäen und mythische Sandsteinfiguren als für ein besonders ästhetisches und haltbares Dach.
Den ganzen Überblick über die Großbaustelle bietet das Flurfenster der 16. Etage des Mercure-Hochhauses. In Augenhöhe kreisen hier die fünf Kranausleger und verteilen die mit Lastkraftwagen angelieferten Baustoffe innerhalb der Großbaustelle. Gerade schließen Bauarbeiter die Decke zur Tiefgarage. Gut erkennbar ist die städtebauliche Figur des neuen Landtages. So wie viele Nord- und Ostsee-Touristen die Umrisse von Inseln wie Sylt oder Rügen kennen, so erkennen die Potsdamer den Grundriss des alten Stadtschlosses auf Anhieb wieder.
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