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Landeshauptstadt: Wo ständig die Federn fliegen

Ihr Unternehmen passt in einen 7,5-Tonner, ihr Leben in einen Wohnwagen: Carola Geisler ist mit ihrer mobilen Bettfederreinigung in Potsdam

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Ihr Unternehmen passt in einen 7,5-Tonner, ihr Leben in einen Wohnwagen: Carola Geisler ist mit ihrer mobilen Bettfederreinigung in Potsdam Von Nicola Klusemann Es riecht nicht nach Reinigungsmitteln. Nur nach warmer Luft, die die hellblau lackierte Maschine in den Raum bläst. Carola Geisler drückt zwischen ihren Händen den Inhalt eines Kopfkissens zusammen. Flaum reißt sich aus dem Federbündel und schwebt getragen von Leichtigkeit durch die Luft. Der Rest der Gänsekleidung wird von der Maschine eingesogen. Federn fliegen an einem kleinen Guckfenster vorbei in die Trommel. Durch Ziehen und Schrauben öffnet und schließt die Inhaberin der mobilen Federbettreinigung Klappen, Düsen und Gitter. Ohne Chemie, nur mit 120 Grad heißem Wasserdampf werden die Daunen gesäubert, erklärt sie. In einer kleinen Schublade sammeln sich die Schlafreste, unruhige Träume hinterlassen im Kopfkissen Schuppen, Fettablagerungen, Schweißpartikel und abgebrochene Federkiele. Das bedeutet Gewichtsverlust der Kissenfüllung, weiß die Fachfrau, und gibt frisch Gerupftes dazu. Das Unternehmen von Carola Geisler passt in einen 7,5-Tonner, ihr Leben in einen Wohnwagen. „Ich komme aus einer Schaustellerfamilie“, erzählt die Frau aus Bayern. Mit ihrer Heirat schloss sie sich einer wahren Federbettenreinigungs-Dynastie an, die von Dillingen an der Donau aus in der ganzen Republik agiert. Schwägerinnen und Schwager, Cousins, Cousinen, Geschwister: Alle haben sich dem fliegenden Reinigungsgeschäft verschrieben. Zwar sei sie mittlerweile geschieden, ihre mobile Federverwirbelanlage habe sie deshalb nicht aufgegeben. Ständig an einem Ort sein, dass sei einfach nicht ihre Sache, gesteht die Mutter von zwei Kindern. Der Berliner Raum habe es ihr besonders angetan: Weil die Leute hier nett und aufgeschlossen seien, die Stammkundschaft immer auf sie warte. Seit über einem Jahrzehnt bereist sie alljährlich den Speckgürtel. Früher habe sie in Potsdam ihren Standplatz Am Stern gehabt, mittlerweile sei der Parkplatz vor dem BlauHaus in der Heinrich-Mann-Allee zu ihrem wochenweisen Domizil geworden. Über ein Trittbänkchen aus Plastik steigt man in das Zuhause der Bayerin. Frisches Obst steht auf dem runden Tisch. Die Wohnwagenbewohnerin streift die Decke glatt, entfaltet eine gelbe Wurfsendung und liest ihre Dienstleistungen ab. Dazu gibt sie Erläuterungen, nennt ihre Sonderangebote. Die Werbesprüche lässt sie aus: Achtung Hausfrauen! Wir machen ihren Betten Dampf! Die Fachfrau für Federbetten schlüpft in ihre mit Jeans-Imitat bespannten Schlappen, zieht sich den weißen kurzen Kittel über und geht – Trittbänkchen herunter, ein paar Meter über den Parkplatz, Stahltreppe herauf – zu ihrer Reinigungsmaschine, die schon gut 20 Jahre im Dienst der Familie steht. Der ohnehin enge Wirkungsbereich wird gerahmt von großen Säcken, einem gebogenen Rohr, das in einen Korb weist, einer Nähmaschine und einem Schränkchen. Schön gefaltet liegen hinter Glas Inlets in wollweiß, hellblau und altrosa, glänzend und matt aus verschiedenen Fasergemisch. Ist der Federn-Daunen-Mix aufgefrischt, bekommt er nämlich eine neue Haut. Kissen und Betten werden also aufgetrennt, ihr Inhalt unter Wasserdampf gesetzt, getrocknet und dann in neue Stoffhüllen geblasen. So würde auch altes Bettzeug wie neu, schwärmt die Reinigungsfachfrau. Und lange warten müsse man auch nicht: Das reinigende Verwirbeln des ehemaligen Vogelkleid dauert in der Regel drei Stunden. Also keine Nacht Verzicht auf die Träume-Polster. Auf Wunsch könnten Oberbetten auch zu Stepbetten umgearbeitet werden. Dafür hat sie entsprechende Inlets auf Lager. Auch Neuanfertigungen von Kissen, Oberbetten und Step- oder Daunenbetten seien möglich. In blaue Säcke gestopft wird das weiße Feder- und Daunengemisch gelagert. Dreiviertel des Jahres sei sie unterwegs, erzählt die Unternehmerin. In Caputh, Ferch, Werder, Rehbrücke und natürlich Potsdam. Ihre Kinder würden – ähnlich wie der Zirkusnachwuchs – im Laufe der Wanderschaft verschiedene Schulen besuchen. Die Verwandtschaft treffe sie oft am Wochenende, die meisten machten nämlich in unmittelbarer Nähe Station. Man besuche sich gegenseitig. Nur in den Wintermonaten gehe es zurück in die südliche Heimat – zum Weihnachten feiern und für Messebesucher. Schließlich müsse man mit seinen Angeboten auf dem neuesten Stand sein. „So bald aber die Sonne wieder ein bisschen wärmer wird, bin ich wieder weg“, erzählt Carola Geisler in bayerischer Deutlichkeit. Inzwischen hat die Kissenfüllung ihren Schlaf abgeschüttelt und dreht die letzten Runden in der Trockentrommel. Mit geschickten Handgriffen stülpt die Reinigungsfrau ein weißes Inlet über das untere Ende des gebogenen Rohrs und klemmt die Stofföffnung mit einem Ring fest. Sie schaltet das Gebläse an. Das Kissen schwillt zu einem Stoffballon mit eckigen Ohren an. Die Füllmasse fliegt durchs Rohr in die Stoffhülle. Ist der Vorgang abgeschlossen, wird das gute Stück gewogen . Auf etwa zwei Pfund Federn bettet der Duchschnittsschläfer sein Haupt. Ein Oberbett hat entsprechend mehr Innenleben. Zu Großmutters Zeiten musste sich das Federbett so über den Ruhenden wölben, dass man kaum mehr das Bettende sah, erinnert sich die Geislerin. Noch heute gebe es einige Kunden, die sie regelrecht anfeuerten, noch mehr Daunen und Federn einzufüllen – was eigentlich gar nicht mehr notwendig sei. Überzeugungsarbeit helfe da wenig: Der Kunde ist König. Und der wird, wenn schon nicht auf Wolken, so doch auf Federn gebettet. Die Luftbewegung im engen Innenraum der mobilen Geisler-Reinigung bringt den entwichenen Daunen das Tanzen bei. Ein paar der weißen Fliegengewichtler tanzen der Inhaberin auf der Nase herum. Mit Pusten versucht sie die kitzelnden Weißlinge loszuwerden, ihre beiden Hände umfassen nämlich noch die Öffnung des Kissens. Die an die Wand gemalte gelbe Gans mit Fliege um den schlanken, langen Hals betrachtet das Schauspiel mit Häme. Die späte Rache eines gerupften Federviehs. Die Geislerin hat ihren Aufenthalt in Potsdam verlängert und bleibt noch bis einschließlich Freitag, dem 5. September an ihrem Platz auf dem Blauhaus-Parkplatz in der Heinrich-Mann-Allee. Gereinigt wird immer montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr.

Nicola Klusemann

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