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Einen Engel gehabt: Flankiert von Staatssekratär Martin Gorholt (l.) und Richard Buchner ehrte Peter Seele seine Kameraden.

© A. Klaer

Landeshauptstadt: Wodka für die Kameraden

Kränze für die Opfer des Stalinismus in der Leistikowstraße. Zeitzeuge Peter Seele begeisterte Schulklasse

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Nauener Vorstadt - Eine berührende Szene: Am letzten Tag der Werkstattwoche haben Opferverbände im Beisein von Schülern des Evangelischen Gymnasiums Hermannswerder in der Gedenkstätte Leistikowstraße Kränze zur Erinnerung an die Opfer des Stalinismus niedergelegt. Mit dabei war auch Peter Seele, Jahrgang 1928, der am 9. Oktober 1951 vom russischen Geheimdienst verhaftet worden war. Seine Frau fragte damals noch, wie lange es dauern würde, und die NKWD-Leute sagten, „eine halbe bis dreiviertel Stunde“, wie Seele den Schülern gestern berichtete. Doch bis zu seiner Rückkehr sollten Jahre vergehen: Wegen angeblicher Spionage zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt, kam er erst zwei Tage vor Weihnachten des Jahres 1955 aus dem berüchtigten nordrussischen Gulag Workuta nach Potsdam zurück.

„Ich lebe noch“, rief Seele den Schülern lachend zu, zog einen Stahl-Flachmann hervor, darin „echter Wodka“, nahm einen kräftigen Schluck und ging dann zu den Kränzen hinüber, die gerade an dem Stahlgerüst abgelegt worden waren, das die Treppe trägt die hinaufführt zum Eingang in das ehemalige Geheimdienstgefängnis. „Ein paar Spritzer für meine Kameraden“, rief Seele und benetzte die Kränze mit Wodka. Nachdem also „die Kameraden“ ihren Schluck hatten, durften auch die Schüler probieren, die freilich mehrheitlich dankend ablehnten. Nachdem der Historiker Richard Buchner in seiner Festrede noch den großen pädagogischen Stellenwert der Zeitzeugen gelobt hatte, gab Seele – vom Typ her einer, den man sehr berechtigt eine Seele von Mensch nennt – den Schülern noch einen Tipp mit auf den Weg: „Wenn die Lehrer weg sind, könnt ihr rauchen.“

Die Schüler fanden Peter Seele folglich „echt cool“. Gymnasiast Jonas Walker erklärte, Seele habe „ein großes Thema auf sehr persönliche Art rübergebracht“. Auf die Frage einer Schülerin, ob er nach alldem, was er erlebt hat – ein russischer Offizier verbrannte ihm beim Verhör mit einer brennenden Zeitung das Gesicht, bei der Arbeit unter Tage litt er ständig Hunger, mehrmals musste er tote Kameraden begraben – ob er nach all dem noch an Gott glaube. Seeles Antwort: „Was soll ich dazu sagen? Sicher ist, es muss einen Engel geben, sonst wäre ich nicht mehr nach Hause gekommen.“

Die unter der Ägide der Gedenkstättenleiterin Ines Reich organisierte Werkstattwoche in der Leistikowstraße fand gestern ihren Abschluss. Thema des Tages: „Bürgerschaftliches Engagement an einem ehemaligen Haftort“. So referierte der Vorstand der Menschenrechtsorganisation Memorial Deutschland e.V, Richard Buchner, zum Thema „Angst und Terror – Leistikowstraße 1, NKWD-Lager und Gulag Workuta“. Die Historikerin Bettina Greiner hielt einen Vortrag über die Hafterfahrungen der Zeitzeugen und die öffentliche Aufarbeitung heute. In den Vortagen waren jeweils „Objekte des Tages“ präsentiert worden, beispielsweise eine originale Akte des sowjetischen Geheimdienstes KGB. Bei Werkstattgesprächen wurden Themen wie „Potsdam und das sowjetische Militärstädtchen Nr. 7“ oder die Erarbeitung der neuen Dauerausstellung thematisiert, die im Februar 2012 eröffnen wird.

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