Landeshauptstadt: Wohnungen für Schrei-Therapeuten, Schlagzeug-Professoren und Jazzer Die Bürgerstadt AG
aus Berlin baut an der Schwertfegerstraße ein Acht-Ecken-Haus als Musiker-Domizil. An der Alten Fahrt realisiert sie die Brauerstraße 1
Stand:
In gewisser Weise formulierte schon Wilhelm Busch die Geschäftsidee der Bürgerstadt AG für ein wiederaufzubauendes Acht-Ecken-Haus an der Potsdamer Schwertfegerstraße: „Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden ...“ Aber das muss nicht so sein, wozu gibt es die moderne Bauingenieurkunst, die imstande ist, Räume in Wohnungen zu schaffen, die völlig schallentkoppelt sind? Winfried Hammann, Vorstand der Berliner Bürgerstadt AG, füllt die Marktlücke Musikerhaus mit Erfolg, in Berlin steht bereits eines und ebenso in der Hamburger Hafencity. Hammanns Kunden sind Sinfoniker, Philharmoniker und Jazz-Musiker. Hammann: „Saxophon, Piano, Oboe, ein Schlagzeug-Professor wir könnten jeden Tag Hausmusik machen.“ Auch ein Disc Jockey hat schon bei der Bürgerstadt AG eine Wohnung mit schalldichtem Raum gekauft – um seine Musik abmischen zu können, ohne von der Nachbarschaft geteert und gefedert zu werden. Dass der Kundenkreis nicht auf Musiker beschränkt ist, beweist in Hamburg ein Schrei-Therapeut mit dem Kauf einer Musikerwohnung, berichtet Hammann.
Der Musikraum ist nicht teurer als ein Platz in der Tiefgarage. Auf den allerdings müssen die künftigen Bewohner verzichten. Das, sagt Hammann, entspricht durchaus dem Lebensgefühl junger Leute: „Die holen sich ihr Auto, wenn sie eines brauchen“.
Vier Häuser an der Schwertfegerstraße bildeten bis zur Zerstörung 1945 durch ihren speziellen Grundriss einen sogenannten Acht-Ecken-Platz. Nur ein Original hat die Zeiten überstanden; vis-à-vis entsteht nun durch die Bürgerstadt AG ein Pendant mit historischer Fassade und modernem Innenleben einschließlich Jazz-Keller. Die Investitionssumme für das Haus mit Leitfassade beträgt laut Hammann etwa 4,5 Millionen Euro. Der Bauantrag werde wohl innerhalb des nächsten halben Jahres eingereicht. Allerdings seien „noch Sachfragen“ zu klären, etwa die nach der Feuerwehr-Durchfahrt. Hammann: „Wir stehen Gewehr bei Fuß, doch die Entscheidung liegt nicht bei uns.“
Der Bürgerstadt-AG-Chef ist ein Mensch mit ausgeprägtem sozialen und gesellschaftlichen Denken. Ihm geht es darum, dass wieder „identifizierbare Bürgerhäuser entstehen“, dass Häuser gebaut werden, „die für den durchschnittlichen Mittelstand erschwinglich sind“. Hammann und seine Mitarbeiter stellen dem klassischen Bauträger, der Wohnungen in großer Zahl baut, die Idee der Baugruppe entgegen – eine Gruppe von Bauwilligen erarbeitet sich ihr Wohnprojekt mit hohem zeitlichen Aufwand und großem persönlichen Engagement selbst. Bauherren wie diesen stellt die Bürgerstadt AG ihr Wissen hinsichtlich der Planung und Bauausführung zur Verfügung und nicht selten auch das dafür geeignete Grundstück. Im Ergebnis entstehen Häuser wie das Haus „Eisenzahn“ in Berlin mit 35 Wohnungen, von denen kein Grundriss dem anderen gleicht.
Freilich, der Reiz, an der Alten Fahrt zu bauen, kommt nicht vom Preis, den Wohnungskäufer dort zu zahlen haben werden. Für die Brauerstraße 1 direkt neben dem künftigen Palais Barberini rechnet Hammann mit Quadratmeterpreisen von um die 4000 Euro. Etwa zehn Wohnungen entstehen, je nach frei zu wählendem Grundriss, im Vorderhaus mit Front zum Alten Markt. Zwei große, sehr luxuriöse Maisonette-Wohnungen zu je 146 Quadratmeter Wohnfläche sind im Gartenhaus zur Alten Fahrt geplant. Wobei Gartenhaus falsche Assoziationen hinsichtlich der äußeren Gestalt wecken könnte: Das Architekturbüro Dietz-Joppien gibt dem Haus am Wasser eine klare, kubische Form. Wer bislang Moderne in der Mitte vermisst hat, voilà, hier ist sie.
Der Reiz der Alten Fahrt liegt für Hammann und die Bürgerstadt AG in der Idee der Parzellierung. Die Stadt Potsdam hätte das Uferareal auch komplett an einen Großinvestor verkaufen können. Der hätte unter allem eine riesige Tiefgarage errichten können – auf einen Parkplatz in der Tiefgarage müssen die künftigen Bewohner der Brauerstraße 1 verzichten –, es sei denn, sie mieten sich einen im benachbarten Palais Barberini. Der Vorteil der Aufteilung des Grundstücks in kleine Parzellen liegt in der damit verbundenen Unterschiedlichkeit der Bauherren, was wiederum zu unterschiedlichen Architekturen und Materialien führt. Erzielt werden Kleinteiligkeit und Vielfalt; vermieden werden Großstrukturen, die das menschliche wie das Potsdamer Maß übersteigen. „Parzellen rekonstruieren, das ist die Herausforderung an die Stadtplanung neuen Typs“, sagt Hammann. Dass es nicht die Kassiererin und der Busfahrer sein werden, die an der Alten Fahrt wohnen werden, weiß Hammann. „Wir sind uns dessen bewusst.“ Oft würden die Architekten dafür verantwortlich gemacht, dass sie keinen bezahlbaren Wohnraum schaffen. Dabei „muss das Rad ganz woanders gedreht werden“. Der Staat müsse eingreifen, „doch eigentlich gibt es im Moment keine Generallösung“.
Der nächster Teil der Serie: 7. Februar.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: