Sport: „Wollen dem Gegner unser Konzept aufdrücken“
Trainer Peter Melzer bilanziert die Saison des Handball-Regionalligisten 1. VfL Potsdam und blickt voraus
Stand:
Der 1. VfL Potsdam sicherte sich vor vier Tagen zum Abschluss der Saison 2007/2008 hinter dem künftigen Zweitligisten VfL Bad Schwartau den Vizemeistertitel in der Handball-Regionalliga Nordost. Peter Melzer (52) übernahm die Mannschaft vor Beginn der Spielzeit.
Herr Melzer, wir sitzen hier im Luftschiffhafen, wo Sie vor reichlich zehn Monaten die erste Trainingseinheit beim VfL leiteten. Erinnern Sie sich noch?
Natürlich. Der erste Tag bei einem neuen Verein ist wohl für jeden Trainer ein spezieller Tag. Ich erinnere mich an ein Gefühl der Vorfreude und positiver Anspannung und auch daran, dass dort sechs Handballer standen, die geraucht haben. Das hat mich erst einmal total verblüfft.
Peter Melzer als Asket...
Ich bin kein Asket, in diesem Punkt jedoch sehr konservativ. Die Zigarette passt einfach nicht zum Leistungssport. Heute brauche ich das den Jungs nicht mehr ständig zu predigen. Sie bringen die nötige Selbstdisziplin auf. Zumindest in der Phase vor und nach körperlicher Betätigung.
Ist diese Art der Selbsterkenntnis einer der Hintergründe dafür, dass der VfL nach der unbefriedigend verlaufenden Hinrunde derart die Kurve bekam und sich in den Rückspielen beeindruckende 27:3 Punkte erspielen konnte?
Sie ist ein Detail des großen Ganzen. Blickt man auf unsere Rückrunde, kommt es mir so vor, als hinge alles mit allem zusammen. Ich erinnere mich noch an das 26:30 in eigener Halle gegen die SG Flensburg II. Wir lagen da gegen eine bessere A-Junioren-Mannschaft mit 9:19 zurück. Das war erschütternd. Kein Mumm, kein Zusammenhalt, keine Disziplin. Ich habe auch heute keine Erklärung für diese Halbzeit, halte es jedoch für ausgeschlossen, dass sich so etwas bei uns wiederholen könnte. Wir haben uns, gerade was die psychische Stabilität betrifft, erhebliche Fortschritte erarbeitet. Daran sollten wir uns erfreuen und nicht den Blick zurück auf die unerfreulichen Wochen des vergangenen Herbstes überstrapazieren. Für uns gilt es auch künftig, dem Gegner im Spiel unser eigenes Konzept aufdrücken zu wollen.
Wer war, wenn man davon überhaupt sprechen sollte, Ihr „Spieler der Saison“?
Schwer zu sagen. Ich habe den Eindruck, dass die Truppe selbst überzogenen Individualismus ablehnt. Aber man kommt natürlich nicht an Victor Pohlack vorbei. Er ist in Abwehr und Angriff gleichermaßen wertvoll und hat mit 29 noch einmal einen Leistungssprung gemacht. Ihm zur Seite stehen mit Enrico Bolduan und meinem Sohn Lars weitere sehr gute Spieler. Mit Blick auf die kommende Saison kann ich mir nur wünschen, dass die Drei dauerhaft von Verletzungen verschont bleiben.
Ein Gespräch im Luftschiffhafen drängt die Frage nach der Perspektive des Potsdamer Handballs auf. Hier befindet sich die Sportschule, an der Sie tagsüber als Lehrer tätig sind.
Der 1.VfL Potsdam wird auch künftig von seinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen her ein Verein sein, der bemüht sein muss, sich seine Handballer für die 1. Männermannschaft selbst auszubilden. Schauen Sie auf Alexander Schmidt, Jan Piske, Florian Schugardt, Alexander Kübler oder die beiden Torhüter Sebastian Schulz und Tom Lessig. Sie alle haben sich prächtig entwickelt. Hätten wir da noch einen Zweimetermann dabei, der die Dinger aus dem Rückraum reinmacht, wäre die Sache perfekt. Das Problem ist jedoch keines mit Potsdamer Spezifik. Auch beim SC Magdeburg beispielsweise ist seit Jahren kein Mann mit entsprechender Körpergröße aus dem vereinseigenen Nachwuchs oben angekommen. Yves Grafenhorst, Christian Sprenger oder Christoph Theuerkauf haben dies geschafft, jedoch nur am Kreis oder auf den Außenpositionen. Spielerische Qualität von hinten heraus wird auch in der Bundesliga meist dazugekauft. In kleinerem Rahmen gilt das auch für uns. Wir holen uns eben Stephan Mellack aus Eisenach zur Verstärkung.
Wer kommt noch neu zum 1. VfL?
Gedulden Sie sich noch ein wenig. Wir müssen sicherstellen, dass alles hundertprozentig klar geht. Ich hoffe, es kommt noch der eine oder andere, der uns weiterhilft.
Wie ist der Stand der Dinge im Fall Jörg Reimanns, dessen Dienste dem Vernehmen nach anhaltend vom Ligakontrahenten HSV Insel Usedom eingefordert werden?
Nach meiner Kenntnis ist die Sache noch nicht abschließend geklärt. Es ist durchaus möglich, dass er, wenn man sich auf Vereinsebene nicht irgendwie einigt, bis in den kommenden November hinein gesperrt wird. Es muss bei uns gemeinsamer Konsens sein, dies zu verhindern.
Wie kommt der 1. VfL Potsdam über den Sommer? Pausiert er überhaupt?
Die Spieler können individuell zwei, drei Wochen Urlaub nehmen und trainieren ansonsten durch. Der Handball als Spielgerät spielt dabei während der kommenden Wochen keine große Rolle. Wir werden ein Lauf- und Athletikprogramm absolvieren und uns auch einmal als Rugbyspieler oder Volleyballer betätigen. Ich persönlich freue mich auf die freien Wochenenden, die ich auf meinem Grundstück in der Nähe von Cottbus verbringen werde. Dort gibt es viel zu tun.
Reden wir über die kommende Saison. Was haben Sie in Potsdam noch vor?
Ich habe beobachtet, dass einige unserer Regionalliga-Kontrahenten unser frühes Scheitern im Aufstiegskampf mit einer gewissen Schadenfreude aufgenommen haben. Wir tun gut daran, im kommenden Herbst erst einmal in den Spielen Leistung zu bringen. Zu viel Gerede macht nur die Spieler nervös und die Schiedsrichter aufmerksam. Die Liga dürfte ausgeglichener werden und somit schwieriger zu bespielen sein als bisher. Die Aufsteiger werden nicht noch einmal so schwach sein wie Grimmen oder Esingen. In Oranienburg beispielsweise brennt, wenn die den Aufstieg schaffen, bei Heimspielen immer die Luft. Völlig unklar ist, was beim LHC Cottbus oder in Altenholz passiert, falls die in der Relegation scheitern. Und was wird aus Empor Rostock? Spielen die auch noch bei uns mit? Wie auch immer: Es wird interessant.
Das Interview führte Thomas Gantz.
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