Ausgesprochen KAPUSTE: Wozu Frühling?
Der Frühling naht, auch wenn es zurzeit nicht so aussieht. Die Natur wird erwachen und des Sprießens und Knospens wird kein Ende sein, und dann wird auch noch der Mai, der lustige Mai herangerauschet kommen.
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Der Frühling naht, auch wenn es zurzeit nicht so aussieht. Die Natur wird erwachen und des Sprießens und Knospens wird kein Ende sein, und dann wird auch noch der Mai, der lustige Mai herangerauschet kommen. Die Dichter haben den Frühling stets mit Freuden begrüßt. Eduard Mörike ließ sein blaues Band flattern und Goethe, Eichendorff, Heine, Chamisso, Droste-Hülshoff, und wie sie alle hießen, stimmten mit ein. Ringelnatz verkündete, er fühle eine neue Natur zu seiner Susanna erwachen, und Kästner fiel hierzu, wie gewohnt, leicht Unanständiges ein. Tucholsky allerdings verglich diese Jahreszeit griesgrämig mit einem bleichsüchtigen Lümmel. Doch die Comedian Harmonists hielten dagegen und teilten einer Veronika fröhlich mit, dass der Lenz da sei und deshalb die Mädchen Tralala sängen.
Nun mal ehrlich: Haben wir noch wie unsere Altvorderen wonnige Frühlingsgefühle? Die coolen Smartphone-Jugendlichen, die von Stress und Burnout geplagten Berufstätigen und wir, die dynamischen Alten, die bei jedem Wetter und in jeder Jahreszeit ächzend und schnaufend durch die Wälder joggen? Fühlen wir ein Kribbeln in den Gliedern, erscheint uns die Luft beschwingt wie Champagner, überwältigen uns erotische Sehnsüchte und Ahnungen, hören wir die Bienen summen, haben wir das Gefühl, jederzeit Bäume ausreißen zu können?
Wohl kaum! Frühling, das sind geringere Heizkosten, Sommer- statt Winterreifen, Umstellen auf die Sommerzeit und dass er im Kalender steht. Ansonsten warten wir darauf, endlich auf der Terrasse den Grill anschmeißen zu können. Was braucht es den Frühling, wenn man schon zum Jahresanfang auf südlichen Inseln die warme Sonne genossen hat, und wenn es das ganze Jahr über, und nicht nur im Frühling, Erdbeeren, Spargel und Softeis zu kaufen gibt, all das, was der Mensch unbedingt zum Leben braucht, und wenn wir jahrein, jahraus stets die gleichen Jeans tragen? Selbst die Tierwelt ist nicht mehr das, was sie mal war. Hoffmann von Fallersleben ist passé mit seinem Lied von den Vögeln, die jetzt wieder alle da seien, die Amseln, Drosseln und so weiter. Viele Zugvögel bleiben brav zu Hause, selbst Störche und Singschwäne wurden bereits im Januar gesichtet. Und der Bauer spannt im März nicht mehr die Rösslein an, sondern sitzt zu jeder Jahreszeit auf seinem von subventioniertem Diesel betriebenen Traktor.
Geben wir es doch zu: Der Frühling ist out. Das Bisschen, was von ihm noch übrig ist, erledigt demnächst die Klimaerwärmung. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass auf den Frühling auch in demografischer Hinsicht kein Verlass ist. Die meisten Geburten erfolgen in Potsdam gemäß den Berichten des städtischen Bereichs „Statistik und Wahlen“ stets in den 3. Jahresquartalen und nicht neun Monate nach dem Frühling.
Unser Autor ist ehemaliger Stadtverordneter der CDU und war Vorsitzender des Ausschusses für Kultur. Er lebt in Eiche.
Eberhard Kapuste
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