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Landeshauptstadt: „Zahnbürsten nicht ausreichend“

Die Versorgungslage im Bezirk Potsdam in den 80er Jahren – von der DDR-Staatssicherheit dokumentiert

Stand:

DDR-Wirtschaft – das bedeutete Mangelwirtschaft, die sich in einer schlechten Versorgungslage der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen niederschlug. Dokumente der DDR-Staatssicherheit, die in der Potsdamer Außenstelle der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) gefunden und aufgearbeitet wurden, geben erstmals detailliert Auskunft über die tatsächliche Versorgungslage im damaligen Bezirk Potsdam in den 80er Jahren. Wir möchten unseren Lesern diesen Einblick in eine nicht allzu entfernte Vergangenheit vermitteln.

Teil 1: Handel und Versorgung.

Bis Ende der 1970er die Kaufhalle im Potsdamer Wohnkomplex Stern übergeben worden war, lag der Schwerpunkt der Versorgung mit Waren des täglichen Bedarfs (WtB) bei den Konsumkaufhallen Am Kiewitt, Zentrum Ost und der Kaufhalle Glienicke. Zum Geschäftsbericht des volkseigenen Einzelhandels (HO) des Bezirkes Potsdam informierte die Stasi-Quelle mit dem Decknamen „Ackermann“, dass im Jahr 1979 der Plan der Versorgungsleistungen übererfüllt wurde. In der Bezirksstadt sei es jedoch nicht gelungen, ein Beispiel einer vorbildlichen werblichen Gestaltung zu schaffen. In allen Exquisiteinrichtungen werde der Kampf um die permanente Sicherung von Höchstniveau bei der Beratung und Bedienung der Käufer geführt. Er kam zu der Schlussfolgerung, dass in Anbetracht des auf der 11. Tagung des Zentralkomitees (ZK) der SED umrissenen versorgungspolitischen Auftrages täglich die stabsmäßige Leitung zur Sicherung einer hohen Stabilität der Versorgung mit den Waren des Grundbedarfs durchzusetzen sei.

Im Januar 1981 teilte dieselbe Quelle mit: In den Positionen werde das Niveau des Vorjahres gehalten; eine bedarfsgerechte mengenmäßige Versorgung sei jedoch nicht gewährleistet; es werde kein stabiles Angebot gesichert. So oder ähnlich lesen sich die Anmerkungen zu Artikeln wie Lebensmittel, Bekleidung, Spirituosen bis hin zur Haushaltchemie.

Die Probleme scheinen derart gravierend gewesen zu sein, dass sogar die positiv verlaufenden Kontrollen in drei verschiedenen Kaufhallen in Potsdam vermerkt wurden: Hier wären die Sortimente Fleisch, Fleisch-, Wurst- und Backwaren sowie Getränke an diesen Tagen im breitem Umfang vorhanden gewesen. Auch stellte er fest, dass eine gute Ordnung und Sauberkeit in den kontrollierten Objekten herrsche und es keine leeren Regale gäbe.

1983 informierte die Stasi-Quelle „Ackermann“ die HO Bezirksdirektion über die Versorgungslage am 7. Oktober: „So kam es vor, daß die Anschlußversorgung mit Backwaren - Brot - nicht gewährleistet wurde und somit bis zu 2 h kein Brot im Angebot war. In anderen Territorien gab es Sorgen mit der Milchbereitstellung sowie in anderen Territorien mit Fleisch.“ Der Stellvertreter des Vorsitzenden für Handel und Versorgung gab am 23. Januar zu Protokoll: „Bei Genussmitteln steht der Bevölkerung weiterhin ein reichhaltiges Angebot zur Verfügung.“ Jedoch: „Der Minister für Handel und Versorgung wurde durch die Fachabteilung darüber informiert, daß die Versorgung der Bevölkerung mit Senf, gepackt, gegenwärtig mit hohem operativen Aufwand erfolgt.“ Immer wieder kommt es zu Ausfällen: „Im Bezirk fehlen rd. 70 t. Kakao. Das gleiche betrifft die Dauerbackwaren und Zuckerwaren. Die Planerfüllung spiegelt nicht in jedem Falle die Warenbereitstellung wieder.“

Die Quelle „Rolf Müller“ informierte 1986 den Großhandel WtB (Waren täglicher Bedarf) über Probleme des Verkaufes und der Lagerung der Zigarettenmarke Semper. Diese hätten einem Gutachten zufolge spürbar in der Qualität abgebaut und würden nicht mehr gekauft. Durch einen Genossen habe er erfahren, „daß diese Zigaretten nach Afrika gehen“, womit „das Semper-Problem gelöst“ sei. Diese Information erwies sich als falsch. Die Produktion der Marke wurde eingestellt und um die Restbestände loszuwerden, von 16 Pfennig auf 12,5 Pfennig Einzelhandelsverbrauchspreis (EVP) reduziert.

Die Stasi-Abteilung XVIII stellte am 13. August 1986 in ihrer Information zur Versorgungslage fest, daß es Probleme bei Speiseeis gebe. Diese Feststellung gipfelte in der Aussage: „Auf der Strecke Softeis muß man sagen, dass es hier verschiedene Sorten gibt und eine Bedarfsdeckung bei dem Softeis ohne Vorfertigungsprozesse nicht gegeben ist auch aufgrund des Bilanznachweises. Es ist ein Republikproblem.“ Auch in der Getränkeherstellung „kann die Versorgung nur noch vom laufenden Band gesichert werden. Da es Probleme in der Wasserbereitstellung bzw. in der Rohstoffbereitstellung gibt.“ Der Stellvertreter des Vorsitzenden für Handel und Versorgung ließ im Zusammenhang mit der Sekretariatssitzung am 4. Dezember 1986 verlautbaren, was sich wie eine militärische Lageeinweisung gibt: Die operative Versorgungsleitung konzentriere sich auf die Absicherung der Versorgung der Bevölkerung mit Waren des Grundbedarfes. Die Verwendung der im HOG lagernden Äpfel werde weiterhin täglich straff geleitet. Im Sortiment Arbeits- und Stricksocken könne nur im Rahmen des Planes versorgt werden. Die Durchsetzung des Ministerratsbeschlusses zur Sicherung der Versorgung im 2. Halbjahr 1986 stehe unter straffer bezirklicher Kontrolle.

Die Periodische Information vom April 1985 über Kontrollergebnisse des Bezirkskomitees der Arbeiter-und-Bauern-Inspektion (ABI) und der im Bezirkskomitee vertretenen Kontrollorgane hielt fest, daß die Versorgung mit Kinderoberbekleidung, Kinderschuhwaren und Kinderpflegemitteln nicht den im Ministerrats- und Parteiratsbeschluss für das Halbjahr 1985 beschlossenen Anforderungen entspreche. Bei Kinderkonfektion gebe es gegenwärtig keine Position, die bedarfsdeckend im Angebot sei. Zur Verbesserung des Angebotes im Sortiment Kinderstiefel erhielt der Bezirk Potsdam auf der Grundlage zentraler Entscheidungen Kinderstiefel zusätzlich aus BRD-Importen. Daraufhin wurden 13 Originalmodelle der Salamanderproduktion in den Größen 15 - 28 mit einem EVP von 35-DDR-Mark bis 75- DDR-Mark bereitgestellt.

In der Periodischen Information der Arbeiter-und-Bauern-Inspektion vom November 1985 wurden der Belegschaft der HO - 0333 „Milchquelle“, der HO-Kaufhalle 2211 in der Heinrich-Rau-Allee und der Konsumgenossenschaft (KG) 0201 in der Dortustraße „leere Regale, damit keine Demonstration von Warenfülle, überlagerte Waren, Angebotsmängel sowie unordentliche und unübersichtliche Sortimentsgestaltung“ vorgeworfen.

Den Versorgungsinformationen der Bezirksdirektion des Volkseigenen Einzelhandels für die Woche vom 25. bis 29. November 1985 lässt sich entnehmen: „Das Angebot im A-Sortiment im Berichtzeitraum komplett. Äpfel 1 - 3 Sorten, keine rotschaligen. Im B-Sortiment fehlte zeitweise Rosenkohl, Chinakohl, Petersilie, Birnen. Zusätzlich kurzzeitig Schwarzwurzel. Most 3 Sorten. Kartoffeln in 1 - 2 Abpackgrößen vorhanden. Südfrüchte: Kuba-Orangen durchgängig vorhanden.“ Weiterhin gab es sogenannte Handelsprogramme für Fisch, Fleisch, Fleisch- und Wurstwaren, Geflügel/Eier, Milch- und Molkereierzeugnisse, Backwaren, Kühlkost, Konserven und Getränke. Die Versorgungsinformationen der Bezirksdirektion des Volkseigenen Einzelhandels für die Woche vom 23. bis 27. November 1987 gibt für den Bereich Kosmetik/Haushaltchemie an: „Zahnbürsten nicht ausreichend“.

Unser Autor Johannes Limberg ist in Babelsberg geboren, ist Student der Neueren und neuesten Geschichte, der Politikwissenschaften und Philosophie an der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster. Derzeit hält er sich als Erasmus-Stipendiat an der Universität Bergen in Norwegen auf. Zuvor war er Praktikant in der Potsdamer Außenstelle der BStU

Johannes Limberg

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