Landeshauptstadt: Zahnputzzeug für 90 Euro
Bei der Lufthansa-Koffer-Auktion hofften viele auf Schmuck in der Tasche – doch nicht alle hatten Glück
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Innenstadt - Er ist der erste, und er sieht gar nicht übel aus: ordentliche Schnallen, keine Kratzer. Und die Leute reißen sich um ihn. Der „Reisekoffer schwarz“ wird an diesem Auktionstag als erster versteigert, an den Bieter mit der Nummer 39. Die Überbotenen schauen neidisch herüber. Sie alle sind gekommen, um bei der Lufthansa-Koffer-Auktion herrenlose Gepäckstücke zu ersteigern – und das, ohne vorher deren Inhalt zu kennen.
Sie haben den Zuschlag bekommen: Zu der Bieternummer 39 gehören Simone Miek und ihr Sohn Tim-Ole. 55 Euro haben sie für den Koffer bezahlt, der Auktionshelfer bringt ihn dafür auch direkt an den Platz. Tim-Ole darf ihn aufmachen. Ein süßlicher Duft entweicht dem Koffer – neben Winterstiefeln, Badelatschen und Pumps liegen ein paar Flaschen billiges Parfum darin. Eine Vorratspackung Inkontinenzeinlagen und einen originalverpackten Walkman gibt es noch dazu. Ein bisschen enttäuscht ist Simone Miek schon. „Wir haben nicht so viel Zeit, deswegen haben wir gleich den ersten genommen“, erklärt sie. „Leider passen mir nicht mal die Schuhe.“
Solches Pech kann jeder haben. Die Gepäckstücke, die Auktionator Heinz-Dieter Wendt in den Bahnhofspassagen versteigert, werden nicht geöffnet. Nur der Zoll darf vorher reinschauen. „Verderbliches, Waffen und Drogen sind entfernt worden“, verkündet Wendt vor Beginn der Auktion. Ein halb belustigtes, halb enttäuschtes „Ohhh“ tönt durch den vollen Saal.
Neben den Koffern, Trolleys und Reisetaschen werden auch Einzelfundstücke versteigert: Handys, Uhren oder Kameras, die in den Flugzeugkabinen vergessen worden sind. Unzählige davon liegen in den Vitrinen zur Besichtigung. „Und das ist alles nur von einem Monat“, berichtet Brigitte Wendt, die mit ihrem Mann bei der Organisation hilft. Alle vier Wochen versteigern die Wendts die Gepäckstücke, die bei der Lufthansa liegen geblieben sind. Wenn nach drei Monaten der Besitzer nicht ermittelt wurde, werden sie zur Auktion freigegeben. Und die wird im Marathonstil durchgezogen: Gestern und auch heute sitzt Heinz-Dieter Wendt von 12 bis 20 Uhr hinter seinem Pult, den kleinen Hammer in der Hand, ständig aufmerksam und vor allem ununterbrochen redend. „Mit Training geht das“, sagt er. „Und heute ist schon ein ganz schönes Kribbeln in der Luft.“
Die Leute hat das Jagdfieber gepackt, die Gebote werden immer höher. Der nächste Koffer geht für 90 Euro an eine Familie, die ihre Beute gleich in Augenschein nimmt. Doch auch hier sind die Gesichter schnell lang: Getragene Wäsche, ein paar Souvenirs – der Reisende war offensichtlich in Heidelberg gewesen. „Klar hab’ ich mehr erwartet“, sagt Familienvater Roland Frinken und untersucht das notdürftig in einer Plastiktüte verstaute Zahnputzzeug.
Andrea Fehre wartet dagegen lieber noch ab. „Im letzten Jahr habe ich für 75 Euro einen Koffer mit lauter neuen Klamotten ersteigert und alles wieder verkauft – das hat sich wirklich gelohnt.“ In diesem Jahr hofft sie auf ähnliches Glück: Sie setzt auf eine Sporttasche.
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