POSITION: Zeichen einer Normalisierung des Judentums
„Dass eine Universität eine jüdische Abteilung braucht, dürfte evident sein“ - eine Position vom Soziologen von Alfred Grosser zur Gründung einer jüdischen Fakultät
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Kürzlich eröffnete das Berlin-Brandenburgische Zentrum für Jüdische Studien, die Uni Potsdam verhandelt noch mit dem Abraham Geiger Kolleg für Rabbinerausbildung um die Gründung einer Jüdischen Fakultät. In seinem Gastbeitrag für die PNN plädiert der französische Soziologe Alfred Grosser für eine solche Fakultät.
In meinem Buch „Die Früchte ihres Baums. Ein atheistischer Blick auf die Christen“ gebe ich eine nicht ganz ernst gemeinte Definition des Theologen: „Jemand, der sein ganzes Leben lang spricht und schreibt über etwas, was er als unsagbar bezeichnet.“ Er ist jedenfalls einer, der über Gott und die Grundlagen des Glaubens frei nachdenken darf und dann die Ergebnisse als Professor an werdende Geistliche übermittelt. Wirklich frei? Nicht in der katholischen Kirche. Dort muss der Theologe schwören, dass er nichts finden wird, was dem Dogma und der päpstlichen Wahrheit widerspricht. Im Judentum gibt es keine solche Autorität und somit ist der jüdische Theologe freier als der katholische.
Wenn der Theologe zukünftige Priester, Pastoren, Rabbiner, Imame auf ihr Amt vorbereiten will, so hat er eine Schwierigkeit zu überwinden: Wie behandelt er die Heilige Schrift ? Auf der islamischen Seite ist es einfach: Er darf sie nicht in Frage stellen, sonst läuft er Gefahr, wegen Blasphemie mit dem Tod bedroht zu werden. Die Katholiken dürfen sich auf die erstaunliche Enzyklika von Pius XII. berufen. Seit September 1943 erlaubt Divino afflante spiritu alle Formen der kritischen Untersuchung des Alten und des Neuen Testaments. Der Text verurteilt auch hart jeglichen Fundamentalismus. Auf jüdischer Seite darf ein Buch wie „Keine Posaunen für Jericho. Die archäologische Wahrheit über die Bibel“ von Israel Finkelstein und Neil Asher Silbermann zwar kritisiert werden, bleibt aber ungestraft, obwohl es sogar die Existenz von Moses und Abraham in Frage stellt.
Die Spannung zwischen Glauben und Wissenschaft scheint mir dadurch überwunden zu werden, dass Theologie und kritische Bibelforschung auf zwei verschiedenen Ebenen arbeiten. Und daher in verbundenen, aber unterscheidbaren Sphären. Das Zentrum jüdischer Studien Berlin-Brandenburg soll diese gewissermaßen brüderliche Trennung strukturell einrichten. In Paris arbeiten unsere Fakultäten der Jesuiten des Centre Sèvres zugleich theologisch und geisteswissenschaftlich.
Die Zahl der zukünftigen Rabbiner ist zu klein, um eine eigenständige jüdische theologische Fakultät zu rechtfertigen. Aber dass es an einer Universität eine besondere theologische jüdische Abteilung geben sollte, dies dürfte doch, sei es nur im Namen der Gerechtigkeit und der Ebenbürtigkeit der Religionen, evident sein. Auch weil die jüdischen Theologen nicht das Schicksal ihrer katholischen Kollegen riskieren. Zwei große Theologen, der Dominikaner Yves Congar und der Jesuit Henri de Lubac, wurden von Pius XII. bestraft und mit Schrift- und Lehrverbot belegt, dann von dessen Nachfolgern zu Konzilstheologen und zu Kardinälen gemacht.
Die nichtjüdische deutsche Öffentlichkeit sollte die Notwendigkeit einer Institution für jüdische Theologie heute aus einem besonderen Grund selbstverständlich finden und unterstützen. Im Grußwort, das Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden, zur Ordinationsfeier des Abraham Geiger Kollegs im November 2011 in der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg gesprochen hat, heißt es: „Die Pluralität ist die neue jüdische Normalität in Deutschland. Wir bauen diese Gemeinschaft hier neu auf, gerade nicht in erster Linie als Trauergemeinschaft, sondern mit den vielen positiven Dimensionen, die das Judentum zu bieten hat – mit wieder ganz frischer Zuversicht.“ Eben weil die nichtjüdischen Deutschen ständig versucht sind, das deutsche Judentum als eine Trauergemeinschaft zu betrachten, sollte alles in die Zukunft Weisende unterstützt werden. Und ein reger Austausch zwischen institutionalisierter jüdischer Theologie mit der katholischen und der evangelischen wäre ein schönes Zeichen einer „Normalisierung“ des Judentums in der Bundesrepublik Deutschland.
Der Autor ist Soziologe und Politologe. Geboren wurde er 1925 in Frankfurt am Main, seine jüdische Familie emigrierte 1933. Seit 1937 ist Grosser Franzose. 1975 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Am gestrigen Donnerstag wurde er in Berlin mit dem Deutsch-Französischen Medienpreis geehrt. Sein Buch „Die Freude und der Tod. Eine Lebensbilanz“ erschien jüngst im Rowohlt.
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