Landeshauptstadt: Zeit der „Taigatrommeln“ ist vorbei
Seit 25 Jahren zwischen Schienenstrang und Wasserstraße: Kleingartenverein am Paretzer Kanal
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Seit 25 Jahren zwischen Schienenstrang und Wasserstraße: Kleingartenverein am Paretzer Kanal Von Erhart Hohenstein Die Kleingartenanlage Am Paretzer Kanal ist mit der Welt verbunden. Ein Vereinsmitglied, Dieter Hoffmann alias DL3BSD, hält von hier aus als Amateurfunker Kontakt mit Gleichgesinnten in vielen Ländern. Als er 1963 mit diesem Hobby begann, bestand die Sparte noch nicht. Erst Ende der 70er Jahre fiel Eisenbahnern, die mit ihren Zügen Richtung Wustermark – Nauen rollten, der ungenutzte Streifen Land am Bahndamm auf. Die LPG „Thomas Müntzer“ Golm hatte seine Nutzung aufgegeben, da er mit der Landtechnik schwer zu erreichen war. Die Interessenten setzten durch, dass sie auf dem Gelände Kleingarten anlegen durften. Am 31. März 1979 gründeten sie ihren Verein Am Paretzer Kanal. Schon damals war der heutige Vorsitzende Hans-Joachim Hesse dabei. Dem Unkrautroden und Planieren folgten die Parzellierung, der Laubenbau, die Stromversorgung. Nur Trinkwasser aus dem Netz gibt“s bis heute nicht. Die 24 Pächter holen es in Kanistern von einer Zapfstelle. Sie hofften auf Anschluss an das zentrale Leitungsnetz, als vor einigen Jahren ein benachbartes Gelände für Kleingärtner erschlossen werden sollte, die im Stadtgebiet ihre Parzellen verloren hatten. Doch es fanden sich nicht genügend Interessenten, die das durch öffentliche Verkehrsmittel nur in großen Abständen zu erreichende Gelände im Norden Potsdams nutzen wollten. Brauchwasser ist dagegen reichlich vorhanden, denn an der Nordgrenze der Sparte verläuft der Kanal. Nicht weit entfernt liegt der Schlänitzsee an der gleichnamigen Siedlung, die aus einer in den 20er Jahren begründeteten Anglerkolonie entstand. Am See gibt es eine Badestelle, die von den Vereinsmitgliedern mit genutzt wird. Andere gehen auf dem See oder am Kanal angeln, aber das lohnt sich kaum noch, denn der Fischbestand ist stark zurückgegangen. Fallen gelassen wurde der Plan, einen vereinseigenen Liegeplatz für Boote einzurichten. Die dafür freigehaltene Parzelle wurde inzwischen ebenfalls an einen Gartenfreund verpachtet. So konzentrieren sich die Vereinmitglieder auf das, was Kleingärtner gemeinhin tun: Sie bauen Obst, Gemüse und Blumen an. Dafür steht ihnen in dem einstigen Bruchgebiet fruchtbarer Boden zur Verfügung. Die Erholung wird etwas durch die auf dem Bahndamm vorbei rauschenden Züge geschmälert, aber „daran gewöhnt man sich“, meint Hesse. Mit der Höherlegung und Modernisierung der Kanalbrücke habe sich die Lärmbelästigung vermindert, und die „Taigatrommeln“ genannten sowjetischen Dieselloks sind längst durch leisere Zugmaschinen abgelöst worden. Der Vereinsvorsitzende kennt sich in solchen Fragen aus, denn er arbeitet als Verkehrssachverständiger bei der Dekra. Wie fast alle Kleingärtner hatten nach der Wende auch die am Paretzer Kanal ihre Schrecksekunde. Als Ausgleichsmaßnahme für den Bau eines Potsdamer Nordhafens sollte ihr Gelände renaturiert, also wieder zu einen Teil des ursprünglich von den Slawen „slonica“ (Salzsumpf) genannten Bruchgebietes werden. Doch wie so manch hochfliegendes Vorhaben blieb der Hafenbau auf der Strecke. So können die Kleingärtner weiter in Ruhe ihr Gemüse anbauen. Die Jahresversammlung am Sonnabend verlief deshalb auch ganz unaufgeregt. Sie war mit einem Arbeitseinsatz zur Verschönerung des Geländes verbunden, an dem fast alle teilnahmen. Danach blieb Zeit, sich im Garten des Vorsitzenden zusammenzusetzen und bei Grillfleisch, Schmalzstullen und Getränken ins Gespräch zu kommen.
Erhart Hohenstein
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