Landeshauptstadt: Zeiten der Angst
Adil B. und Haile T. wagten die gefährliche Überfahrt in einem Flüchtlingsboot. Jetzt hoffen sie in Potsdam auf Asyl und ein besseres Leben
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Fröhlich und selbstbewusst wirkt Adil B. Warum nur? Es könnte ihm sehr viel besser gehen. Der Syrer trägt an diesem warmen Frühlingstag Jeans und ein blau-kariertes Hemd und begrüßt die Besucher in der Container-Unterkunft an der alten Feuerwache mit einem freundlichen Händedruck. Alles riecht in Potsdam nach Neuanfang, die ersten Blumen wagen sich in den Beeten und Parks bereits an die Erdoberfläche, doch in dem Flüchtlingsheim in einem Hinterhof unweit des Potsdamer Schlosses ist davon nichts zu sehen.
An der alten Feuerwache stehen rund 25 der zwölf Quadratmeter großen Plastikunterkünfte in dem betonierten Hinterhof, umrahmt von alten Garagen und den Toren für die Löschfahrzeuge. Da ist kein Platz für Osterglocken.
Während Adil sich vorstellt und dann doch ins Englische wechseln muss, verlässt eine junge Bewohnerin die Gemeinschaftsküche. In der Hand trägt sie einen großen lecker riechenden Kuchen auf einem Teller durch die Containerschlucht. „Probieren?“ Wortlos hebt sie den Kuchen entgegen und lächelt. Die Frau kommt aus dem ostafrikanischen Eritrea.
Seit Kurzem erst ist Adil in der Landeshauptstadt untergebracht. Der 18-Jährige muss sich mit einem anderen Flüchtling einen der Container teilen, die eigentlich nur als Zwischenlösung für wenige Monate gedacht waren. Träger der Unterkunft ist der Internationale Bund (IB), der bereits mehrere Flüchtlingseinrichtungen in Potsdam betreut. Zwölf Quadratmeter: Da passen gerade einmal zwei schmale Betten und ein Schrank rein. Ein bisschen Platz für Persönliches gibt es auch.
Mittlerweile will die Stadt die Notlösung als Provisorium bis Jahresende nutzen. Wie in anderen Kommunen auch rechnet die Verwaltung mit einem weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen in diesem und im kommenden Jahr. Zu viele Krisenherde wie Syrien, Afghanistan oder die Ukraine gibt es, zu viele gescheiterte Staaten.
Derzeit gibt es einem Sprecher zufolge insgesamt 640 Plätze in acht Gemeinschaftsunterkünften, die aber einen deutlich besseren Standard haben als die Containerunterkunft in der Werner-Seelenbinder-Straße. Weitere Flüchtlinge leben in eigenen Wohnungen, bis Ende des Jahres kommen vier Heime mit weiteren 330 Plätzen hinzu. Dennoch sei man bereits auf der Suche nach Grundstücken und Immobilen, um den Bedarf an Flüchtlingsunterkünften auch 2016 decken zu können.
„Guten Tag“, sagt Adil und lächelt. Er ist sichtlich stolz darauf, den Besucher auf Deutsch ansprechen zu können. Die Stadt Potsdam finanziert jedem Flüchtling bereits seit Jahren möglichst schnell einen Sprachkurs. Außerdem habe er Videos im Internet und Bücher genutzt, um Deutsch zu lernen, erzählt der junge Syrer. Ehrgeizig, Adil will es schaffen, unbedingt.
Dabei hatte dieser Mann, der so eloquent wirkt, in den vergangenen Jahren wahrlich keine gute Zeit. Er stammt aus Damaskus, der Hauptstadt des Bürgerkriegslandes Syrien, in dem Präsident Baschar al Assad seit 2011 mit verschiedenen Oppositionsgruppen blutig um die Macht kämpft.
„Der Tod meines Bruders änderte alles“, erzählt er. Dieser habe in Damaskus einen Friseursalon geführt. Adil, gerade 18 geworden, studierte an der Hochschule und hätte bald zum Militärdienst antreten müssen. Sein Bruder sei gerade am Haareschneiden gewesen, als eine Granate direkt vor seinem Geschäft einschlug. Keine Chance, er war sofort tot. „Mein Bruder hatte nichts getan“, sagt Adil und rutscht nervös auf dem Stuhl herum. Es fällt ihm sichtlich schwer, darüber zu reden. Darauf entschied der Vater, dass einer der vier Söhne sich in einem anderen Land in Sicherheit bringen müsse. Europa, das lag auf der Hand. Nur einer konnte fahren, für mehr reichte das Geld nicht. Und es reichte auch nicht für den sicheren Weg Richtung Westen über die Türkei.
Adil machte sich also auf den Weg, über Beirut im Libanon mit dem Flugzeug nach Algerien, dann mit dem Auto nach Tunesien und schließlich Libyen. Die zwei Monate dauernde Reise wurde von Schleusern organisiert, die dafür 5000 Euro verlangten. Der schlimmste Teil der Strecke war allerdings die Überfahrt durch das Mittelmeer nach Italien. Eine Ewigkeit lang habe er auf einem völlig überfüllten Schiff gestanden, zusammen mit 313 anderen Flüchtlingen, wie er später erfuhr. Zwölf Stunden lang, erzählt Adil und springt erregt auf. „Dicht an dicht“, sagt er und lässt seine Hände nah am Körper nach unten sinken.
Dass er diese Überfahrt überlebte, ist für ihn immer noch ein Wunder. „Es war sehr gefährlich“, sagt er und lässt den Blick über den Tisch schweifen. Erheblichen Anteil hatten wohl die italienische Marine und das nationale Seenot-Rettungsprogramm „Mare Nostrum“, das im Oktober von der europäischen Operation Triton abgelöst wurde – allerdings in wesentlich kleinerem Umfang. Das Rettungsschiff brachte die Flüchtlinge zunächst in kalabrische Vibo Valentia.
Von dort aus reiste Adil dann schließlich mit dem Zug nach München und dann nach Berlin, wo er Asyl beantragte und in die Erstaufnahmeeinrichtung nach Eisenhüttenstadt kam. Das war im August vergangenen Jahres.
Noch schlimmer erging es Haile T., der ebenfalls einen der Container an der alten Feuerwache in der Innenstadt bewohnt. Der 35 Jahre alte Eritreer erreichte auch im Sommer vergangenen Jahres Deutschland. Auch er flüchtete aus seinem ostafrikanischen Heimatland am Roten Meer und musste in einem Boot das Mittelmeer überqueren. „Das war ein schrecklicher Trip“, sagt er. Haile wurde bestohlen, musste viel Geld an eine „Schleusermafia“ zahlen und brauchte dann noch einmal zwei Monate, um von Griechenland nach Deutschland zu gelangen. „Ich war in der eritreischen Armee. Dort gab es aber keine Sicherheit, kein Sold, kein Zuhause“, berichtet Ali von seinen Motiven. Dann gab es Ärger mit der Armee-Führung, er musste weg. „Alles ist ok“, betont der dunkelhäutige Mann auf Englisch. Doch die Augen schauen traurig, verzweifelt. Sein Verfahren ist noch nicht abgeschlossen, er wartet noch auf eine Antwort, ob er bleiben kann.
Adil, der junge Syrer indes, gibt vor, voller Energie zu stecken. „Ich schaue jetzt nach vorn“, sagt er und fügt hinzu: „Ich will sicher sein, ich will studieren, einen Beruf haben, arbeiten. Und ich respektiere die Regierung.“ Vielleicht irgendwas mit Tourismus, das Fach, das er auch in Damaskus lernte. Er hätte eine Chance verdient, genauso wie Haile T. aus Eritrea.
Es muss wieder aufwärts gehen für Adil, soviel ist klar. Im Moment sei die Situation für ihn jedenfalls immer noch schwierig – wenn auch besser als im vergangenen Jahr, als er auf der Flucht war. „Ich weiß noch nicht, wie es weitergeht“, räumt er ein, und: „Ich kann nicht mehr nachdenken.“
Das Containerdorf sei sehr schlecht, sagt Adil und schaut zwischen den Containern entlang auf die alten teils verrosteten Garagen. „Im Winter ist es bestimmt kalt hier und im Sommer brennt vermutlich die Sonne auf die Plastikdächer.“ Es gebe nichts zu tun. Einen Monat oder so könne er hier wohl noch aushalten. „Aber nicht länger“, betont er. Er müsse dringend eine Wohnung finden. „Ich suche schon.“ Ganz modern, mithilfe seines Handys und im Internet.
Stefan Engelbrecht
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