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Von Juliane Gau: Zeitzeugin

Ruth Schönwälder zum 100. Geburtstag

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„Seit drei Tagen feiern wir hier schon“ lacht Schwester Bärbel vom St. Franziskus Seniorenpflegeheim in der Potsdamer Kiepenheuerallee. Dazu besteht auch guter Grund: Die Bewohnerin Ruth Schönwälder ist am Samstag, dem 20. September, stattliche 100 Jahre alt geworden. Am Jahrestag selbst kamen viele Freunde und Bekannte die ehemalige Geschäftsfrau besuchen, gestern gesellte sich Andreas Ernst, Fachbereichsleiter für Soziales, Gesundheit und Umwelt aus dem Potsdamer Rathaus zu den Gratulanten. Mitgebracht hat er Blumen und ein Buch. Akkordeonspieler Hans Zeun animierte die feiernden Heimbewohner zum Singen. Ein „Hoch soll sie leben!“ durfte dabei nicht fehlen.

1908 in Berlin-Schöneberg geboren, wuchs Ruth Schönwälder bei ihren Großeltern auf und lernte in einer Bäckerei. „Brötchen gestoßen, und schwer gearbeitet“ hätte sie zu der Zeit, meint das Geburtstagskind. Auch Mehlsäcke hätte sie tragen müssen. Nebenbei ist sie Zeitzeugin der großen Ereignisse des 20. Jahrhunderts: den Ausbruch des ersten Weltkrieges erlebte sie als Kind, den des zweiten als junge Frau Anfang dreißig, und den Fall der Mauer als Achtzigjährige. Eng verbunden sind die Ereignisse mit dem persönlichen Schicksal. „Mein erster Mann ist ja 1945 gefallen, in Breslau“ erzählt Ruth Schönwälder. Man kann sich die Trauer der jungen Witwe vorstellen, ein Schicksal, dass sie mit vielen teilt. Sie steht auf eigenen Beinen, arbeitet in einem Geschäft für Wirtschaftsartikel, leitet es zum Schluss. Sie findet eine neue Liebe, heiratet ein zweites Mal. 1990 stirbt der Lebensgefährte, er findet auf dem Bornstedter Friedhof seine letzte Ruhestätte. Beide Ehen sind kinderlos geblieben. „Potsdam liebe ich, es ist doch wunderschön mit Sanssouci, der Altstadt und dem ganzen Drumherum“ drückt die alte Dame ihre Verbundenheit mit der Stadt aus. „Bornstedt ist meine Heimat, da hänge ich dran – seit 1937 wohne ich hier“, fügt sie hinzu. Erst vor zwei Jahren, mit 98, ist sie in das Pflegeheim St. Franziskus gezogen. Vorher wohnte sie, ganz in der Nähe, im Stechlinweg, wo „es sich gut wohnte“ nach ihrer Aussage. Schlecht scheint es der Seniorin nicht zu gehen in ihrer neuen Bleibe: „Sie ist ein sehr geselliger Mensch, liebt Gesellschaftsspiele“ erzählt eine der Schwestern. „Früher hat sie gerne gestrickt, und sie freut sich immer, wenn jemand mit ihr spazieren geht“ fügt sie hinzu. Nicht nur ein Glas Wein, sondern auch Malzbier oder Sanddorn-Likör genießt Frau Schönwälder neben guter Hausmannskost.

Herr Ernst aus dem Rathaus verspricht, auf jeden Fall zum 101. Geburtstag wiederzukommen. Zur Ruhe kommen werden Schwester Bärbel und ihre Kolleginnen bis dahin wohl nicht: „Am 10. Oktober wird schon die Nächste 100 Jahre alt“ erzählt eine der Damen, die mit gerade mal 90 zu den Jüngeren des Wohnheims zählt.

Juliane Gau

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