Landeshauptstadt: Zeugnis zum Geburtstag
Ehemalige Schüler gratulierten Lehrer zum 100.
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Es wird eng im Zimmer von Gerhard Fromme: Immer neue Gratulanten betreten den kleinen Raum im Potsdamer Pflegeheim St. Franziskus, um dem Mann, der am 25. Dezember 100 Jahre alt wurde, zum Geburtstag zu gratulieren. Bei vielen handelt es sich jedoch nicht um Verwandte, sondern um ehemalige Schüler. „Herr Fromme hat mich von der ersten bis zur dritten Klasse unterrichtet“, sagt der 70-jährige Potsdamer Jürgen Huckewitz. 1947 war das, in einer Klasse mit anfangs 52 Kindern. „Nach dem Krieg habe ich eine achtmonatige ‚Neulehrer’-Ausbildung gemacht“, erzählt Fromme, der zu diesem Zeitpunkt gelernter Schlosser war. In der Althoffschule (heute Goetheschule in Babelsberg) wurde er als Grundschullehrer eingestellt, wo er bei seinen Schülern schnell beliebt wurde. Der engagierte Lehrer brachte seinen ABC-Schützen Lesen, Schreiben, Rechnen und Werken bei, später unterrichtete er auch Physik und Mathematik für höhere Klassenstufen. „Die ersten drei Klassenstufen gingen noch“, erinnert sich Fromme an seine Lehrer-Ausbildung, „der spätere Stoff war schon schwieriger“.
Dass der Lehrer seinen Job dennoch mehr als gut gemacht hat, zeigen die Reaktionen seiner ehemaligen Schüler: Als Huckewitz dem Jubilar sein altes Zeugnis aus der zweiten Klasse als Geschenk überreicht, klatscht Fromme vor Freude in die Hände und seine Augen beginnen zu leuchten. Lächelnd studiert der 100-Jährige, der immer noch ohne Brille lesen kann, das Zeugnis sowie einen alten Brief, in dem er sich bei Huckewitz’ Mutter für den schönen Geburtstag ihres Sohnes in der Klasse bedankt hatte. „Prima“, strahlt Fromme, und meint damit sicher nicht nur die Noten, die er vor über einem halben Jahrhundert vergeben hat. Auch den Gratulanten geht sichtlich das Herz auf, als sie Fromme die Hand drücken. „Sagenhaft, sagenhaft“, sagt einer nur bewegt. Eine Potsdamerin, die früher selbst Lehrerin war, zeigt ebenfalls ihr Zeugnis vor und weist auf die Schrift ihres ehemaligen Lehrers hin: „Das hat mein eigenes Tafelbild sehr beeinflusst – er war so ein Vorbild für mich.“
Als Fromme 2009 von seiner damaligen Grundschulklasse zu einem 50-jährigen Klassentreffen eingeladen wurde, war das für ihn „eine kleine Sensation“. Eine treffende Einschätzung – es kann wohl nicht jeder Lehrer von sich behaupten, bei seinen Schülern eine so langlebige Zuneigung erworben zu haben. Auf Frommes Tisch liegt bereits rund ein Dutzend Briefe von Verwandten und Schülern, die nicht mehr in Potsdam leben und nun aus ganz Deutschland gratulieren. Darauf hat Huckewitz, der viele der Ehemaligen mobilisiert hat, ein besonderes Auge: „Wer nicht geschrieben hat, wird nicht versetzt“, scherzt er. E. Wenk
E. Wenk
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