Landeshauptstadt: Zucker von der Alten Fahrt
Der Unternehmer Ludwig Jacobs war einst der „einflussreichste Bürger in Potsdam“
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Mit der Übernahme des Grundstücks am Jungfernsee durch das Berliner Architektenehepaar Marianne und Stefan Ludes besteht wieder Hoffnung auf die Rekonstruktion der 1981 ausgebrannten und dann abgerissenen Villa Jacobs (PNN berichteten). Die 1836 im Stile eines florentinischen Landhauses errichtete Turmvilla galt als eines der Meisterwerke des Hofarchitekten Ludwig Persius. Sie wurde nach ihrem Bauherren benannt.
Wer aber war jener Ludwig Jacobs, der sich solch einen repräsentativen Familiensitz leisten konnte? Der 1794 in Altrodan bei Neustadt (Dosse) geborene Mann stellt eine jener Unternehmerpersönlichkeiten dar, die im 19. Jahrhundert den industriellen und wirtschaftlichen Aufstieg Preußens auslösten und mitbestimmten.
1826 begründete er an der Alten Fahrt die Jacobs’sche Zuckersiederei, die über 200 Arbeiter beschäftigte. 1833 war er der erste Potsdamer, der in seiner Fabrik eine Dampfmaschine installierte. Als Rohstoff holte Jacobs Rohrzucker von den westindischen Inseln, wofür er sogar eigene Schiffe einsetzte. Die Lagerhallen befanden sich auf der Freundschaftsinsel, die eigentliche Fabrik auf dem Gelände hinter dem Alten Rathaus am Ziegenmarkt (später Blücherplatz). Dazu hatte Jacobs nach und nach die Grundstücke 1 bis 5 angekauft. Nachdem Franz Carl Achard um 1800 ein Verfahren zur industriemäßigen Herstellung von Rübenzucker entwickelt hatte, stieg Jacobs darauf um. Lieferanten wurden nun die neuen Fabriken im Oderbruch, deren erste 1837 in Kienitz den Betrieb aufgenommen hatte.
Der angesehene Unternehmer – der Stadtgeschichtler Julius Haeckel nannte ihn den „wohl einflussreichsten Bürger von Potsdam“ – war auch ein engagierter Kommunalpolitiker. Als Stadtverordneter setzte er sich energisch für den Bau der ersten preußischen Eisenbahnlinie von Berlin nach Potsdam ein, die 1838 fertiggestellt wurde. Sein Wunsch, den Bahnhof an der Heiliggeistkirche zu bauen, wurde allerdings von den Stadtverordneten abgelehnt. Jacobs Vorschlag war nicht uneigennützig, denn seine Raffinerie lag ganz in der Nähe. Da Berlin Hauptabnehmer des Zuckers war, hätte ein Bahnhof an dieser Stelle die Transporte erleichtert und verbilligt. 1846 gelang es Jacobs, für den Weiterbau der Eisenbahnstrecke bis Magdeburg eine finanzielle Beteiligung der Stadt Potsdam in Höhe von 200 000 Talern durchzusetzen.
Der Unternehmer stieg zum Stadtrat und Stadtältesten auf. So leitete er 1851 die Eröffnungssitzung der neu gewählten Stadtverordnetenversammlung, auf der sich Alexander von Humboldt für die ihm zwei Jahre zuvor verliehene Ehrenbürgerwürde bedankte. Jacobs kannte den berühmten Naturforscher gut und stand mit ihm im Briefwechsel. Auch zu Friedrich Wilhelm IV. hielt er persönlichen Kontakt, manche sprachen sogar von einer Freundschaft. Auf Geheiß des Königs ließ der Unternehmer 1843/44 seine Fabrikgebäude von Persius in der Form eines mittelalterlichen Kastells mit einem 37,70 Meter hoch aufragenden Turm für den Dampfschornstein umbauen.
Als Jacobs 1849 ein Gnadengesuch für den zum Tode verurteilten 1848er Revolutionär und Offizier im badischen Aufstand Max Dortu einreichte, bewährte sich die Freundschaft mit dem König jedoch nicht. Friedrich Wilhelm IV. gab das Gesuch an Staatsminister Graf von Brandenburg weiter, der auf der Hinrichtung des erst 23-jährigen Potsdamers bestand. Der im Gegensatz zur Familie Dortu politisch konservativ eingestellte Jacobs wollte mit seinem Gesuch eine Dankesschuld abtragen. 1848 waren seine drei Söhne bei stürmischem Wetter auf dem Jungfernsee mit ihrem Segelboot gekentert. Zwei ertranken, den dritten rettete Max Dortu, der ein gewandter Schwimmer war, aus den aufgewühlten Wellen.
Dieser überlebende Sohn Friedrich führte das Unternehmen seines 1861 durch Wilhelm I. geadelten und 1879 verstorbenen Vaters bis 1897 an der Alten Fahrt weiter. Der Gebäudekomplex wurde am Kriegsende 1945 zerstört. Die Villa hatte er bereits 1886 an Prinz Alexander von Preußen, einen Neffen Friedrich Wilhelms IV., vermietet. Das Erbbegräbnis der Familie von Jacobs befindet sich auf dem Alten Friedhof.
Erhart Hohenstein
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