Von Guido Berg: Zum Leben zu laut
Die Bornstedter haben vom Verkehrslärm „die Nase voll“: Am 19. August wollen sie die Bundesstraße 273 für zwei Stunden sperren
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Bornstedt - Die Bornstedter Straße ist ausgebaut, wie es besser nicht geht. Geräuscharm rollt die ewige Autokarawane dahin. Ein Fischreiher putzt sich wenige Meter neben der Straße ungerührt den Schnabel. Doch die Bornstedter haben nichts von dem spiegelglatten Asphalt. Ihre Häuser beginnen erst weiter auswärts, auf beiden Seiten der Potsdamer Straße. Die aber besteht aus Rollbahnbeton, gebaut zu DDR-Zeiten für die Militärkonvois der Russen. „Das Granitpflaster, das vorher da war, haben sie damals nach West-Berlin verscheuert“, erklärt ein alter Bornstedter. Der Mann steht direkt auf Höhe der „Sprungschanze“, dort, wo der Asphalt endet und die Betonbahn beginnt. Warum der Asphalt um das Jahr 2000 nicht gleich weiter durchgezogen wurde? Weil „den Herren da oben da oben was fehlt“ sagt der 78-Jährige und zeigt auf seine Stirn. „Wahrscheinlich war das Geld alle, weil sie sich neue Dienstwagen kaufen mussten.“
Jedes Mal, wenn ein Lastwagen über die „Schanze“ fährt, scheppert es. Besonders laut ist es, sagt der alte Mann, wenn ein Laster leer ist, aber etwas lose auf der Ladefläche liegt. Es vergeht keine Minute ohne Brummi. Und wieder einer. „Haben Sie das krachen gehört?“ Mit Draht hat der Mann an seiner Grundstücksgrenze ein Transparent befestigt. Darauf steht: „Lärmfolter. Tempo 30 für alle.“
Seit zehn Jahren protestieren die Bornstedter Betonpisten-Anrainer gegen den Verkehrslärm. Nun, kurz vor den Landtags- und Bundestagswahlen, scheinen sie rebellieren zu wollen. Transparent reiht sich an Transparent. „Risse an den Häusern!“ steht auf einem. Bei Theo Faegeler hängen gleich zwei mit Pinsel und Farbe beschriftete weiße Bettlaken am Zaun. Auf einem steht in aggressivem Rot das Wort „Wut“. Der Bornstedter ist Mitbegründer der Bürgerinitiative „Betonpiste B273 - Lärm macht krank“. Leere Autotransporter sind das übelste, sagt Faegeler. Bis zur Wende 1989 nutzte er noch seine Terrasse an der Straßenseite. „Die drei Trabis“, die vorbei fuhren, störten ihn nicht. Jetzt sitzt er mit seiner Familie hinter dem Haus, doch die Rollgeräusche der Reifen auf dem Beton verfolgen ihn bis dorthin. „Wir fahren fast jedes Wochenende weg“, sagt der Frührentner, „damit sich die Ohren erholen können.“
Es gebe Anwohner, die resigniert haben. Zu denen gehört Theo Faegeler nicht. „Wir sind der Souverän“, sagt er kämpferisch, „wir werden richtig Theater machen“. Am 19. August, einem Mittwoch, will die Bürgerinitiative die Potsdamer Straße für zwei Stunden absperren, von 17 bis 19 Uhr. Eine Demonstration von vielleicht 200 Bornstedtern sei bereits angemeldet. Dabei gibt es Hoffnung: Dank des Konjunkturpaketes der Bundesregierung soll die Potsdamer Straße ab Jahresende für eine halbe Million Euro mit einem so genannten Belag aus „Flüsterasphalt“ überzogen werden. Doch die Bürgerinitiative verfolgt auch ein Fernziel: Eine Ortsumgehung für Potsdam müsse her. „Jedes Lausenest hat eine Ortsumgehungsstraße“, schimpft Faegeler, „nur die Landeshauptstadt nicht.“
Eine Umgehungsstraße „stört die anderen wieder“ erklärt eine alte Dame, die seit 50 Jahren an der Potsdamer Straße wohnt. Sie zupft in ihrem Garten Unkraut, ohne sich an den wenige Meter neben ihr vorbeidonnernden Lkws zu stören. „Ich muss die Hörgeräte ausmachen“, klärt sie auf, „mit angestellten Verstärkern geht es gar nicht.“ Erst tags zuvor habe sie Besuch gehabt; doch auf dem Hof sitzen konnte sie wegen des Lärms nicht, sie mussten ins Haus gehen, berichtet sie. Auf der anderen Straßenseite, ihrem Haus gegenüber, protestiert ein Anwohner kreativ. „Schlaflos in Bornstedt“ steht auf seinem Transparent – in Anlehnung an die US-Filmkomödie „Schlaflos in Seattle“. Ein Autohaus-Betreiber verrät, er schlafe nur noch mit Ohropax. „Ein Naherholungsgebiet“ werde die Potsdamer Straße nie sein, sagt er, aber ein anderer Straßenbelag sei nötig.
In der Bornstedter Apotheke wird eine Verlegung des Verkehrs kritisch gesehen. „Wenn hier keiner mehr lang fährt, haben wir keine Kunden mehr“, sagt eine Apothekerin. Doch Polizeikontrollen wünscht auch sie sich. An der nahen Fußgängerampel fahre jeden Tag einer bei Rot. Auch ein Ehepaar, an dessen Zaun ein Transparent hängt, fordert lange versprochene Geschwindigkeitsmessungen ein. „Nachts wird die Straße zur Rennpiste“, sagt der Mann, der ein T-Shirt der Freiwilligen Feuerwehr Bornstedt trägt. Dann halte kaum mehr ein Fahrer die 50 Kilometer pro Stunde ein, „oder höchstens pro Reifen“. Das Fazit des Rentnerehepaares: „Wir haben die Nase voll.“
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