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Vorzeigemodell: Prof. Dr. Hartmut Giest über die Verbindung von Theorie und Praxis in der Potsdamer Lehrerbildung
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Vorzeigemodell: Prof. Dr. Hartmut Giest über die Verbindung von Theorie und Praxis in der Potsdamer Lehrerbildung Die im Herbst veröffentlichte OECD-Lehrerstudie übte massive Kritik an der deutschen Lehrerbildung. Das Modell der Universität Potsdam allerdings wurde als besonders positiv hervorgehoben. Was machen Sie anders? Das Studium hier ist stärker professionsorientiert, das heißt, die fachwissenschaftlichen, die erziehungswissenschaftlichen und die praxisbezogenen Studien bereiten sehr konkret auf den Lehrerberuf vor. Während künftige Lehrer an anderen deutschen Universitäten teilweise ohne direkten Berufsbezug zunächst Erziehungswissenschaften und zwei weitere Fächer studieren und mitunter erst während des Referendariats vor einer Klasse stehen, werden Potsdamer Studierende von Beginn an mit dem Schulgeschehen konfrontiert. Auf welche Weise? Das beginnt mit einem Orientierungspraktikum, in dem die Studierenden den Perspektivwechsel vom ehemaligen Schüler zum künftigen Lehrer vollziehen. Angehende Grundschullehrer absolvieren ein integriertes Eingangssemester mit zahlreichen Hospitationen und aktiver Beteiligung am Unterricht. In einem späteren Praktikum in pädagogisch-psychologischen Handlungsfeldern, z.B. in Einrichtungen der Jugendhilfe, lernen die Studierenden unterschiedliche Sozialisationsbereiche von Kindern und Jugendlichen kennen. Ein psychodiagnostisches Praktikum bereitet sie zusätzlich auf die differenzierte Beurteilung und Förderung von Schülerinnen und Schülern vor. Daneben gibt es die fachdidaktischen Tagespraktika mit Hospitationen und Unterrichtsversuchen sowie ein mehrwöchiges Blockpraktikum, in dem die Studierenden selbst unterrichten. Trotz allem beklagen auch Potsdamer Studierende, dass sie im Studium ihrer beiden Fachrichtungen zu wenig auf den Lehrerberuf vorbereitet werden und mitunter nicht wissen, wie sie den Unterrichtsstoff kindgerecht vermitteln sollen. In der Tat ist es so, dass die Fachinstitute an der Universität noch zu wenig Rücksicht auf die besonderen Bedürfnisse der Lehramtsstudierenden nehmen. Wer Biologielehrer werden möchte, studiert das Fach gemeinsam mit künftigen Biologen. Dabei bräuchte er vielmehr Überblicks- und angewandtes Wissen. Den Bezug zum Unterricht stellt oft erst die Fachdidaktik her, ein Bereich, der in der Ausbildung und vor allem auch in der Forschung unbedingt gestärkt werden muss. Zwischenzeitlich wurde überlegt, Lehrer an Fachhochschulen auszubilden. Oder stellt das Modell der ehemaligen Pädagogischen Hochschule eine Alternative dar? Nein. Die Universität bietet den großen Vorteil, Forschung, Lehre und Praxis zu verbinden, also neueste Erkenntnisse direkt in die Ausbildung einfließen zu lassen und umgekehrt Erfahrungen aus dem Schulalltag wissenschaftlich zu erfassen und zu bewerten. Nur die Universität ermöglicht die so wichtige Nähe zu den Kognitionswissenschaften, zu Psychologie, Linguistik und Lernforschung. Die Studierenden können sich hier an Forschungsaufgaben beteiligen und so die Fähigkeit entwickeln, später in ihrem Berufsalltag immer wieder neues theoretisches Wissen umzusetzen. Eine wichtige Voraussetzung, um der sich schnell einschleichenden Routine zu begegnen. Wie aber lässt sich das Problem der praxisfernen Fachausbildung lösen? Um das „Potsdamer Modell“ weiterentwickeln zu können, müssen die bisherigen Reformen evaluiert werden. Mit den Ergebnissen könnte ein Verständigungsprozess mit den Fachinstituten in Gang kommen über die stärkere Berücksichtigung des Berufsfeldes künftiger Lehrer. Am Institut für Grundschulpädagogik sind die Fach- und die Erziehungswissenschaften bereits erfolgreich miteinander verzahnt. Ein jüngst einberufener Kooperationsrat für die Lehrerbildung soll die Beziehungen zwischen Theorie und Praxis stärken. Welche konkreten Aufgaben hat er sich gestellt? Dieser Kooperationsrat bringt regelmäßig alle Entscheidungsträger an einen Tisch: das Bildungsministerium, Vertreter der Universität, der Studienseminare, des Prüfungsamtes, der Schulämter und des Landesinstituts für Schule und Medien. Die erste große Herausforderung wird die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor- und Masterabschlüsse sein. Außerdem müssen Rahmenbedingungen für das neue Praxissemester erarbeitet werden. Es ist ein konkreter Ausdruck der angestrebten Verzahnung zwischen der ersten und der zweiten Phase der Lehrerbildung. Künftig fällt das erste Staatsexamen weg und das Referendariat verkürzt sich um ein Semester. Dafür sollen ein viermonatiges Praktikum ins Studium integriert und die im Studium gesammelten Praxiserfahrungen auf den Vorbereitungsdienst angerechnet werden. Welche Vorteile, welche Nachteile haben die neuen Abschlüsse? Klare Vorteile sind die Verkürzung der Studienzeit, eine größere Transparenz, die Anrechnung bisheriger Studien und die internationale Anerkennung. Ein Nachteil besteht in der komplizierter werdenden Studienorganisation. Wenn es nicht gelingt, modulare Strukturen koordiniert zu erarbeiteten, überschneiden sich Vorlesungen und Seminare für die unterschiedlichen Fächer und Fächerkombinationen. Unklar ist bislang auch, welche Berufschancen der Bachelorabschluss eröffnet, denn Lehrer kann nur werden, wer mit dem Master abschließt. Gibt es Untersuchungen darüber, welche Wirkung die Potsdamer Lehrerbildung in der Praxis zeigt? Genaue Erhebungen stehen noch aus. Noch arbeiten zu wenige Absolventen an brandenburgischen Schulen. Dort aber, wo wir Rückmeldungen bekommen, schneiden „unsere“ Referendare im Vergleich zu Absolventen anderer Universitäten besser ab. Die für die schulpraktische Ausbildung zuständigen Studienseminare bescheinigen ihnen das Vertrautsein mit reformpädagogischen Ansätzen wie der Gruppen- und Projektarbeit oder fächerübergreifenden und leistungsdifferenzierenden Unterrichtsmethoden. Die Referendare allerdings berichten, dass ihre Herangehensweise im Lehrerkollegium mitunter auf Skepsis stößt. Wie können die Absolventen dabei unterstützt werden, eine moderne Unterrichtsmethodik an den Schulen umzusetzen und damit die so dringend erforderlichen Reformen voranzubringen. Wichtig ist, dass die an der Lehrerbildung beteiligten Schulen die Chance nutzen, ihre Praxisprobleme als Fragestellungen in die Forschung einzubringen und umgekehrt bereitwillig theoretische Erkenntnisse in der Praxis erproben. Wo ein innovationsfreudiges Klima herrscht, gelingt das schon sehr gut, so wie an der Potsdamer Montessori-Schule oder der Voltaire-Gesamtschule. Viele Lehrer sind neuen Methoden gegenüber sehr offen, nur wissen sie oft nicht, wie sie sie anwenden können. Neben einer verstärkt handlungsorientierten Fortbildung wollen wir daher in Potsdam einige Forschungs- bzw. Laborschulen einrichten, die dann hoffentlich weit ins Land ausstrahlen. Das Gespräch führte Antje Horn-Conrad Prof. Dr. Hartmut Giest ist Leiter des Zentrums für Lehrerbildung an der Universität Potsdam und Professor für Grundschulpädagogik im Lernbereich Sachunterricht.
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