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40 Jahre Turbine Potsdam sind 40 Jahre Turbine-Chef Bernd Schröder. Er wurde 1971 Coach des jungen Teams (ganz oben), erlebte Niederlagen (o. r.), die Auszeichnung mit der DFB-Verdienstnadel 2005 durch DFB-Präsident Theo Zwanziger (o. l.) und die Zuneigung seiner Mannschaft wie nach dem ersten Deutschen Meistertitel 2004 (unten).

© Manfred Thomas, Archiv

Von Michael Meyer: Zurück zu den Wurzeln

In einer ehemaligen Turbinen-Halle wird heute gefeiert, am Templiner See mit den Fans am 5. Juli

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Back to the roots – zurück zu den Wurzeln. Nicht zufällig feiern Potsdams Turbine- Fußballerinnen ihren 40. Geburtstag am heutigen Freitag in Luckenwalde. Dort steht eine alte Turbinen-Halle, in der einst Turbinen für Strom sorgten und die zum Energiekombinat Potsdam gehörte, Turbines früherem Trägerbetrieb. „Es ist eine eher ungewöhnliche Stätte, aber wir sind ja auch kein gewöhnlicher Verein“, sagt dazu Bernd Schröder, seit vier Jahrzehnten Lenker des Potsdamer Frauenfußballs, zur heutigen Feier mit 120 geladenen Gästen.

Genau genommen trieb der Hunger Schröder am 3. März 1971 zu den Fußballerinnen in spe, die sich nach einem Wandzeitungsaufruf im Klubhaus „Walter Junker“ des VEB Energieversorgung gerade zusammengefunden hatten. „Ich wollte“, erzählt er, „nach der Arbeit noch etwas essen und bin deshalb in die Gaststätte des Klubhauses gegangen, habe aus Neugier in die Versammlung nebenan reingeschaut und bin dort hängengeblieben.“ Der Rest ist bekannt: Schröder ließ sich – zuvor zwar einst Torwart Lok Leipzigs, aber bis dahin noch nie Trainer – dazu überreden, Übungsleiter des neuen Frauenfußball-Teams zu werden und traf sich mit den Interessentinnen zwei Tage später zum ersten Training in der Turnhalle des heutigen Helmholtz-Gymnasiums in der Kurfürstenstraße.

„Deshalb ist für mich auch der 5. März die eigentliche Geburtsstunde des Potsdamer Frauenfußballs“, erklärt Schröder heute. „Und ich habe damals gleich gesagt: Entweder wir spielen Fußball leistungsorientiert, oder wir lassen es ganz sein. Als nichtolympische Sportart war der Leistungssport unsere einzige Chance.“ Nach den ersten harten Übungen blieben von 40 Frauen ganze acht übrig. Mit Zeitungsaufrufen wurden weitere Kickerinnen gefunden, am 11. März wurde schließlich offiziell die Frauen-Abteilung der Turbine- Sektion Fußball gegründet. Das erste Spiel am 23. Mai 1971 bei Empor Tangermünde gewann Turbine gleich mit 3:0 durch Tore Heike Mischs (2) und Marita Retzkis.

Bernd Schröder stand damals und auch bei allen anderen Spielen Turbine Potsdams an der Seitenlinie – aus einer anfänglichen Passion wurde sein Lebenswerk. Er führte seine Mannschaft zu sechs DDR- Bestentiteln, ehe mit der Wende und den folgenden ökonomischen Schwierigkeiten im Osten Deutschlands auch für Potsdams Fußballerinnen schwere Zeiten anbrachen. Da sich das Energiekombinat keine Betriebssportgemeinschaft mehr leisten konnte, kam auch Schröders Team zur neuen SSV Turbine Potsdam. Als seine Mannschaft in große finanzielle Nöte geriet, griff er auf eigene Ersparnisse zurück, und als seine – bis heute ehrenamtliche – Trainertätigkeit von der Konzernleitung misstrauisch betrachtet wurde, trat er 1992 als Manager zurück ins zweite Glied. Peter Raupach, Frank Lange, kommissarisch Sabine Seidel, Lothar Müller und Eckhard Düwiger trainierten Turbine fünf Jahre, ehe Schröder das Amt 1997 wieder selbst übernahm.

Von Lange 1994 in die Bundesliga geführt, etablierte sich der Verein dort mehr und mehr, um sich – ab 1. September 1999 als eigenständiger 1. FFC Turbine – im neuen Jahrtausend zur deutschen und europäischen Spitzenmannschaft zu entwickeln. Nach drei zweiten Plätzen von 2001 bis 2003 wurde im folgenden Jahr durch ein 7:2 beim FFC Frankfurt der erste bundesdeutsche Meistertitel erkämpft. Außerdem bejubelte Potsdam den UEFA-Women’s-Cup-Sieg 2005, drei weitere Deutsche Meistertitel 2006, 2009 und 2010, die DFB-Pokalsiege 2004 bis 2006 und als Krönung im vergangenen Jahr den Triumph in der erstmals ausgetragenen Champions League der Frauen. In der wird Turbine erneut antreten, wenn der Bundesliga-Spitzenreiter auch seine beiden letzten Spiele dieser Saison am kommenden Sonntag bei Bayer 04 Leverkusen und eine Woche später daheim gegen Essen-Schönebeck gewinnt.

An der Potsdamer Sportschule lernen und trainieren 70 Mädchen mit der Hoffnung, einmal ganz oben in der 1. Bundesliga zu kicken. Damit klappt es derzeit zu selten, deshalb soll ab kommender Saison ein einheitliches Trainingssystem von den jüngsten Schülerinnen bis zum Erstliga- Team eingeführt werden. Bernd Schröder wird auch im nächsten Spieljahr als Trainer tätig sein, sucht aber schon einen geeigneten Nachfolger ab 2012. „Wir haben genügend Bewerbungen, suchen aber jemanden, der für diesen Job acht bis zehn Stunden täglich da ist und sich mit diesem Verein, dieser Stadt und diesem Kulturkreis identifiziert. Wir werden, um nach meinem Rückzug nicht in ein Loch zu fallen, nur eine Chance bekommen“, meint Schröder, der beim Kompliment „Frauenversteher“ abwinkt: „Kein Mann wird je ganz die Psyche der Frauen verstehen.“

22 Nationalspielerinnen – die erste war Ariane Hingst, die bislang letzte Josephine Henning – trugen beziehungsweise tragen das Potsdamer Trikot; bei der diesjährigen Weltmeisterschafts-Endrunde in Deutschland rechnet Bernd Schröder mit vier seiner Spielerinnen im DFB-Kader. Während des WM-Spiels Deutschland – Frankreich am 5. Juli wird Turbine bei einem öffentlichen Public Viewing am Kongresshotel am Templiner See die letzten vier Jahrzehnte mit allen Fans feiern. Potsdams Fußballfrauen zählen auch ihre Anhänger zu ihren Wurzeln.

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