Sport: Zuversichtlicher Linksschläger
Der Potsdamer Kanute Sebastian Brendel will auf dem Dorney Lake im EINERCANADIER über 1000 Meter Jürgen Eschert beerben
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Er ist 16 Zentimeter größer, schaut aber – symbolisch – auf zum einen halben Kopf kleineren Jürgen Eschert, wenn er mit ihm spricht. Schließlich will Rennkanute Sebastian Brendel erst noch das werden, was der Fördervereins-Ehrenpräsident des Kanu-Clubs im OSC Potsdam bereits ist. Eschert wurde 1964 in Tokio Olympiasieger. Mit seinem Triumph über 1000 Meter im Einercanadier holte er das erste Olympia-Gold für Potsdam. Einen solchen Erfolg hätte Brendel am 8. August dieses Jahres auch gern. Dann geht es auf dem Dorney Lake bei Eton um die olympischen C1-Medaillen über den Kilometer, und der Potsdamer Modellathlet wird an jenem Mittwoch für Deutschland paddeln.
„Eine Medaille ist dann mein Ziel“, bekräftigt Sebastian Brendel, der zuversichtlich sein kann, da er bei den Weltmeisterschaften 2009 und 2010 jeweils Bronze im Einercanadier über 1000 Meter holte und bei allen seinen diesjährigen Rennen „Duftmarken setzten konnte“, so der gebürtige Schwedter. Er gewann im polnischen Posen das Rennen um den letzten Olympia-Quotenplatz im 1000-Meter-Einer und wurde drei Tage später an gleicher Stätte Weltcup-Zweiter hinter dem Kanadier Mark Oldershaw, gewann beim Weltcup in Duisburg und wurde in Zagreb Europameister im Soloboot. „Das alles stimmt mich schon optimistisch“, sagt er.
Außerdem ist sich Sebastian Brendel sicher, dass ihm nicht noch einmal so ein Missgeschick passieren wird wie im vergangenen Jahr. Damals war ihm bei den WM in Szeged im Vorlauf schon nach fünf Schlägen das Paddel zerbrochen. „Das kommt nicht noch mal vor“, ist sich der 24-Jährige sicher. „Meine jetzigen Paddel sind stabil. Sie wurden beim FES (Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten Berlin/d. Red.) nochmal auf ihre Steifigkeit getestet. Der Hersteller Plastex hat mir versichert, dass sie halten.“ Die Stechpaddel wurden nochmal mit einer doppelten Hülse verstärkt, denn während des Rennens wirken Riesenkräfte auf das Sportgerät. „Beim Start sind es zu bis 80 Kilo, auf der Strecke dann 50 bis 55 Kilo“, erklärt Brendel. Im 200-Meter-Sprint, in dem Ende nächster Woche im C1 schon der Finaleinzug für ihn ein Erfolg wäre, seien es wegen der höheren Schlagfrequenz unterwegs sogar 60 Kilo.
Für den Kilometer benötigt Sebastian Brendel etwa 240 Paddelschläge. Um es damit aufs Olympia-Treppchen zu schaffen, „habe ich im Training nochmal ordentlich zugelegt“, erklärt der Kanute, der daheim im Potsdamer Luftschiffhafen von Ralph Welke trainiert wird. Seit Oktober 2011 habe er auf dem Wasser rund 4000 Trainings-Kilometer zurückgelegt. „Da kam eine Menge zusammen. Das waren meine bisher größten Umfänge“, meint der angehende Bundespolizist, der 2000 an die Potsdamer Sportschule gekommen war und seine Berufsausbildung in Kienbaum im Februar 2013 beenden will. Wenn die deutsche Kanu-Flotte am Freitag aus dem jetzigen Trainingslager Duisburg nach London fliegt, glaubt er auf Olympia gut vorbereitet zu sein.
„Ich will dort mein Bestes geben. Aber die Konkurrenz schläft auch nicht“, weiß Sebastian Brendel, zu dessen stärksten Gegnern der Olympiasieger von 2004 und amtierende Weltmeister Attila Vajda aus Ungarn und der Olympia-Zweite von Peking, der Spanier David Cal, gehören. „Die paddeln alle noch“, erklärt der Potsdamer, der vor vier Jahren bei Olympia zuschauen musste. Damals galt noch der Neubrandenburger Andreas Dittmer als stärkster deutscher Canadierspezialist, doch Brendel ist inzwischen längst aus dem Schatten des nicht mehr aktiven dreifachen Olympiasiegers getreten. Auf dem Dorney Lake wird der Potsdamer nun unter anderem auch auf den Franzosen Mathieu Goubel, den Usbeken Vadim Menkov und den schon erwähnten Kanadier Mark Oldershaw besonders achten müssen.
Und auf den Wind, denn die Regattastrecke auf dem künstlichen und rechteckigen See zwischen Eton und Windsor gilt als windanfällig, auch wenn während der Olympischen Spiele neu errichtete Zuschauertribünen im Zielbereich einiges abfangen könnten. „Für mich wäre Wind von rechts besonders schwierig“, erläutert Sebastian Brendel, der – wie einst Jürgen Eschert – Linksschläger ist und die jetzige Olympia-Wettkampfstätte bereits von Testrennen Anfang September 2011 kennt. Damals wurde der Potsdamer im 1000-Meter-Einer Zweiter hinter Mark Oldershaw und vor Attila Vajda. „Wir hatten dort drei Wettkampftage, und an jedem Tag kam der Wind von einer anderen Seite“, erinnert er sich. „Das ist eine Strecke, die schon unfair sein kann, wenn der Wind von der Seite bläst.“
Als ganz persönliche Fans wird Sebastian Brendel am Dorney Lake seine Eltern Astrid und Gerd auf der Tribüne wissen. Seine Lebenspartnerin Romy Leue und das gemeinsame Töchterchen Hanna (2) werden dann in Magdeburg mit Romys Familie vorm Fernseher die Daumen drücken und mit ihm mitfühlen können. Romy war einst selbst aktive Kanutin des SC Magdeburg und ist jetzt Lehramts-Studentin in Potsdam, über ihren Bruder Erik – 2009 Weltmeister im 1000-Meter- Zweiercanadier – hatten sich die beiden kennengelernt, Vater Eckhard Leue wurde 1980 in Moskau Olympiadritter im 1000-Meter-C1, dessen Vater Rolf gehörte in den 50er Jahren zu den besten Canadierpaddlern der DDR. „Die fiebern alle mit mir mit“, weiß Sebastian Brendel.
Seine kleine Familie wird der Polizeimeisteranwärter in der Woche nach Olympia in Brandenburg/Havel wiedersehen – bei den dortigen Deutschen Kanu-Meisterschaften. Nach der Rückkehr von London mit der „MS Deutschland“ will Brendel von Hamburg aus gleich an den Beetzsee reisen und dort mehrfach starten; auch im Achter-Canadier, in dem der SC Potsdam Titelverteidiger ist. „Dann wohne ich wieder mit meinen Klubkameraden im Zelt. Ich freu mich schon darauf. Wenn man das ganze Jahr im Einer fährt, ist es herrlich, sich auch mal wieder im Mannschaftsboot mit anderen zusammen über einen Erfolg zu freuen“, sagt er.
Zunächst aber hofft er auf einen Erfolg auf der Insel. „Bei Bastis Rennen werde ich besonders mitfiebern“, sagt Jürgen Eschert. „Schließlich kann er als erster Potsdamer nach mir wieder eine olympische Medaille im Einercanadier gewinnen.“
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