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ORTSTERMIN: Zwei Stunden im Pappkarton

Der 1,90 Meter große Alex Frehse quetscht sich zur besten Marktzeit mit seinem Schlafsack in einen Pappkarton. Über eine Stunde lang verharrt er darin zusammengerollt auf dem winterlichen Weberplatz in Babelsberg.

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Der 1,90 Meter große Alex Frehse quetscht sich zur besten Marktzeit mit seinem Schlafsack in einen Pappkarton. Über eine Stunde lang verharrt er darin zusammengerollt auf dem winterlichen Weberplatz in Babelsberg. Im Nachbarkarton hat es sich die zierlichere Anneka Cooke so gut es geht häuslich eingerichtet: Leben in einer Kleinstwohnung. Passanten beäugen die Menschen im Karton und lesen auf einem symbolischen Weberhaus aus Pappe: „Wie lange kann ich mir Babelsberg noch leisten?“ Vor dem Pappkarton steht ein Schild: „Musterwohnung 2020“.

Die zweistündige Aktion gegen die prekäre Wohnsituation haben die Babelsberger Linken am Samstagvormittag veranstaltet. „Wir wollen zeigen, wie es in ein paar Jahren aussieht, wenn der Mietenanstieg nicht gestoppt wird“, sagt Frehse. Stephan Worseck vom Linken-Verband Babelsberg sekundiert: „Wir wollen bezahlbare Wohnungen für alle.“

„Für alle“ – damit meine er vor allem Menschen mit geringem Einkommen. Anneka im Karton gehört wie viele Studierende zu diesen Leuten. Sie lebt mit zwei Kommilitonen in einer WG im Zentrum-Ost. 265 Euro zahlt sie für ihren Anteil der Dreizimmerwohnung. Karton-Nachbar Frehse, Kreisschatzmeister der Linken, muss privat ebenfalls sparsam wirtschaften. Der 45-Jährige ist freiberuflicher Internet-Trainer, wohnt in Drewitz in einer 54 Quadratmeter großen Zweizimmerwohnung für 326 Euro warm. „Mehr als 30 Prozent meines Einkommens kann ich mir fürs Wohnen nicht leisten“, sagt er. Die Mieten der bereits sanierten Wohnungen der Pro Potsdam in der Konrad-Wolf-Allee seien dank Förderung bei 5,50 Euro kalt festgesetzt. „Sozialwohnungen sind schon lange aus dem Programm gestrichen, in Ballungsräumen ist eine Förderung aber dringend notwendig.“ Selbst die gestützten Drewitz-Mieten seien noch höher als die vor der Sanierung, denn Altmieter zahlten mitunter nur 2,74 Euro pro Quadratmeter.

Auch die Studentin Katharina Tietz nimmt an der Aktion teil. Sie ist aus einer Einzimmerwohnung am Schillerplatz zu ihrem Partner in die Heidesiedlung am Findling gezogen. 330 Euro kosten die drei Zimmer einschließlich aller Betriebskosten. Tietz gehört zu den 49 Bewohnern der Siedlung, die sich gegen den von der Pro Potsdam geplanten Verkauf dieser Häuser wehren. Derzeit verhandele eine zwanzigköpfige Arbeitsgruppe unter Beteiligung der Stadtfraktionen und der Pro Potsdam über den Umfang einer künftigen Sanierung. „Ich will hier nicht weg“, heißt es auf an Bäume gehefteten Flugblättern. Und: „Wenn meine Wohnung hier verkauft wird, weiß ich nicht, ob ich woanders etwas finde, das ich mir auch leisten kann“. Es fehle vor allem an bezahlbaren Wohnungen für junge Leute, die nur ein geringes Einkommen haben, heißt es unisono von den Linken.

Ob sich das alles bessern lässt? Dazu tagt regelmäßig eine Stadtentwickler-Arbeitsgruppe der Partei, wie es am Samstag heißt: Bis zur Kommunalwahl will die Initiative ein Konzept präsentieren. Das Thema: „Wohnen als soziales Grundrecht und städtebauliche Aufgabe“.

Günter Schenke

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